Der Junge, der es regnen liess
mit dem Bus und dann weiter mit Glasgows malerischem, im Kreis angelegtem U-Bahn-System. Nach der Schnäppchensuche versuchten wir unser Glück, setzten uns in einen kleinen irischen Pub, in dem Bilder der berühmtesten Autoren des Landes hingen, und hofften, bedient zu werden. Wir hatten Erfolg und erhielten zwei rahmige, große Guinness. Zusammen kuschelten wir uns in eine Ecke, waren begeistert von uns selbst und nicht in der Lage, einander zu gestehen, dass das Guinness ein bisschen nach ranzigem Teer schmeckte. Es störte uns nicht. Wir bestellten noch zwei. Jeder zwei.
Es war schon dunkel, als wir auf unserem Weg zurück in den weniger ersprießlichen Teil der Stadt erneut an der Kunstgalerie und der Universität vorbeikamen. Unsere Hände hielten einander fest umklammert, unser Gang war ein wenig unbeholfen, unsere Stimmen laut und fröhlich. Unser Trinkabenteuer hatte uns einen kleinen Schwips verpasst. Die roten und gelben Lichter der Gebäude erhellten den Himmel über uns, beide standen majestätisch unserer eigenen leicht angeheiterten Majestät gegenüber.
Ich konnte mich nicht entscheiden, welches mir besser gefiel. Die Universität, glaube ich, weil sie so einschüchternd und bedeutsam war, doch auf der anderen Seite muss ich sagen, dass die Galerie einen stattlichen Charme an sich hatte, der einen anzog. In jedem Fall war es der romantischste Tag, den ich in meinem jungen Leben bis dahin verbracht hatte. An diesem Tag dachte ein Teil von mir, wir wären das perfekte Paar und wir würden für lange, lange Zeit zusammen sein. Heirat, Kinder, all das. Wir wären ein Team, das in seiner eigenen undurchdringlichen Glaskugel steckte.
Zur gleichen Zeit dachte ein anderer Teil von mir, dass ich zwar diesen Moment für immer im Gedächtnis behalten, doch zudem in der Lage sein würde, künftige Freundinnen mit meinem Wissen über die Stadt Glasgow zu beeindrucken. Ich würde sie mit Geschichten über die Zeit, die ich dort verbracht hatte, ergötzen. Genau wie ich würden sie die Rührseligkeit des Augenblicks spüren. In dieser Nacht liebten wir uns zum ersten Mal.
Zwei Tage lang war mein Handy meistenteils ausgestellt gewesen. Ich wusste, es würde voll von verpassten Anrufen und Nachrichten von Rosie sein, wenn ich es wieder zum Leben erweckte. Im Laufe meiner zwei verlorenen Tage (das klingt mächtig nach John Lennon) war ich im Geiste eine Fülle von Permutationen durchgegangen. Eine Reihe von Fragen im Stil von Was würde passieren, wenn? stellten sich mir. Zu viele Fragen und nicht genug Antworten. Überhaupt keine Antworten.
Einer Sache war ich mir sicher: Ich musste wieder zur Schule gehen. Ich brauchte diesen Abschluss, wenn schon aus keinem anderen Grund, um mich aus dieser verdammten Stadt wegzubringen. Ich durfte McEvoy nicht gestatten, mir meine Träume zu zerstören, ich war entschlossen, Erfolg im Leben zu haben, selbst wenn das erforderte, eine zehn Zoll lange Narbe davonzutragen. Talent würde sich schon durchsetzen. Ich dachte über eine Anzahl von Möglichkeiten nach, die mir zur Verfügung standen:
Sprich mit einem Lehrer. Mobbing-Opfern wird von klein auf erzählt, dass sie mit einem Lehrer sprechen sollen, wenn sie systematisch von den Rowdys der Klasse tyrannisiert werden. Zwar scheint das in der Grundschulzeit von enormem Erfolg gekrönt zu sein, doch in meinem Fall hatten wir es nicht mit vereinzelten Spottnamen, einem Schubs im Klassenraum, einem Haareziehen oder einer kindischen Erniedrigung zu tun. Und abgesehen davon – ich konnte es gar keinem Lehrer erzählen, denn alle Lehrer waren selbst eingeschüchtert. Die Selbsterhaltungs-Gesellschaft wollte ihre Autos und die Harmonie in den Klassenräumen schützen.
Erzähl’s einem Elternteil. Eine tolle Idee, sofern die fraglichen Eltern auch nur ein Minimum an Einfluss in der Schule hatten oder genug Unterstützung aufbieten konnten, um etwas zu verändern. Eine tolle Idee, wenn die Eltern vor dem betroffenen Abschaum das richtige Maß an Einschüchterung demonstrieren konnten. Eine tolle Idee, wenn das Opfer Eltern hatte, die sich tatsächlich nicht nur einen Dreck um die Ausbildung und das Wohlbefinden ihres Nachwuchses scherten. Eine tolle Idee, wenn die Eltern ihre Sprösslinge ausreichend vor gefährlichen Großtuern schützten. Eine tolle Idee, wenn die Eltern nicht allem gegenüber, was ihre Nachkommen sagten oder taten, apathisch wirkten – auch wenn die in ihrem Schlafzimmer Dope rauchten und das Internet nach
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