Der Junge, der Ripley folgte (German Edition)
Von Kleingeld. Nach einer Viertelstunde dröger Arbeit an der Auflistung der Ausgaben schwamm ihm der Kopf vor Langeweile. Er stand auf und rauchte eine Zigarette.
Na ja, worüber sollte er sich beklagen, dachte er, als er zum Fenster sah. Tom zahlte auf einen Teil der Derwatt-Einkünfte in Frankreich Steuern, nämlich auf die Erträge aus den Aktien, die er an Derwatt Limited besaß. Daneben hatte er inzwischen noch andere Aktien und US -Schatzbriefe erworben, deren Zinserträge er ebenfalls angeben mußte. In seiner französischen Steuererklärung brauchte er nur französische Einkünfte aufzuführen (ein bißchen für Héloïse, nichts für ihn); die Amerikaner dagegen wollten wissen, was er weltweit einnahm. Tom wohnte zwar in Frankreich, besaß aber noch seinen amerikanischen Paß. Also mußte er für Pierre Solway ein gesondertes Blatt auf englisch ausfüllen, denn der Mann kümmerte sich auch um ihre US -Steuern. Es war zum Verrücktwerden. Papierkrieg war der Fluch der Franzosen; allein für die staatliche Krankenversicherung mußte auch der kleine Mann Dutzende von Formularen ausfüllen. So gern Tom Mathematik und pure Arithmetik mochte, so langweilig fand er es, Portokosten von den Belegen des letzten Monats abzuschreiben. Er starrte auf das blaßgrüne Formular, das so zweckmäßig wirkte – oben die Einkünfte, unten die Ausgaben –, und stieß einen obszönen Fluch aus. Eine letzte Anstrengung, und es wäre geschafft, die Stunde vorüber. Diese Steuererklärung betraf den Juli und hätte am Ende des Monats fertig sein müssen. Jetzt war Ende August.
Tom dachte an den Jungen, der gerade an dem Bericht über den letzten Tag seines Vaters schrieb. Ab und zu hörte er das leise Klicken der Schreibmaschine. Der Junge hatte sie mit auf sein Zimmer genommen. Einmal stöhnte Frank: »Uff!« Quälte er sich? Manchmal war so lange nichts zu hören, daß Tom sich fragte, ob der Junge einen Teil mit der Hand schreibe.
Tom griff nach dem kleinen Stapel Quittungen – Rechnungen für Telefon, Strom, Wasser, Autoreparatur – und setzte sich, entschlossen zum letzten Angriff. Er wollte fertig werden. Das wurde er auch, und endlich wanderte das Formular mit den Quittungen, aber ohne die nicht eingelösten Schecks, die bei der französischen Bank verblieben, in einen braunen Umschlag, der wiederum mit den anderen monatlichen Erklärungen für Pierre Solway in einem größeren Umschlag verschwand. Diesen steckte Tom in eine Schublade unten links in seinem Schreibtisch, und er erhob sich mit dem freudigen Gefühl fleißiger Rechtschaffenheit.
Er reckte sich. Im selben Moment legte Héloïse unten eine ihrer Rockplatten auf. Genau, was er jetzt brauchte! Diesmal war es Lou Reed. Er ging ins Bad und wusch sein Gesicht mit kaltem Wasser. Wie spät? Schon fünf vor sieben. Tom beschloß, ihr nun von Eric zu erzählen.
Frank kam aus seinem Zimmer. »Habe die Musik gehört«, sagte er im Flur zu Tom. »Radio? Nein, Platte, oder?«
»Eine von Héloïse«, sagte Tom. »Komm mit nach unten.«
Der Junge hatte ein Hemd statt des Pullovers angezogen; die Zipfel hingen über der Hose. Glücklich lächelnd schwebte er die Treppe hinunter, wie in Trance, dachte Tom. Die Musik hatte ihn wirklich berührt.
Héloïse hatte die Lautstärke aufgedreht und tanzte allein, ihre Schultern zuckten. Schüchtern hörte sie auf, als Tom mit dem Jungen herabkam, und stellte leiser.
»Nicht für mich! Das ist schön«, sagte Frank.
Wenn es um Musik und Tanzen ging, würden sie sich gut verstehen, dachte Tom. »Schluß mit dem verdammten Steuerkram!« verkündete er laut. »Schon fertig? Hübsch siehst du aus.« Héloïse trug ein blaßblaues Kleid mit schwarzem Lackledergürtel und hochhackige Schuhe.
»Ich habe Agnès angerufen. Ich soll früher kommen, dann können wir reden«, sagte sie.
Frank sah sie jetzt anders an, voller Bewunderung: »Sie mögen diese Platte?«
»O ja!«
»Ich habe sie zu Hause.«
»Na los, tanzt doch!« sagte Tom gut gelaunt, doch er begriff, daß zumindest der Junge im Augenblick gehemmt war. Was für ein Leben für ihn, dachte er: Bis eben noch über einen Mord zu schreiben und jetzt in Rockmusik einzutauchen. »Bist du vorangekommen?« fragte Tom leise.
»Siebeneinhalb Seiten. Einige handschriftlich. Ich habe hin und her gewechselt.«
Héloïse stand am Plattenspieler, sie hatte nichts gehört.
»Héloïse«, sagte Tom, »morgen abend bringe ich einen Freund von Reeves mit nach Hause. Er bleibt nur
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