Der Junge, der Ripley folgte (German Edition)
über Nacht. Billy kann mein Zimmer haben, und ich komme zu dir.«
Sie wandte ihm ihr hübsches, geschminktes Gesicht zu. »Wer ist es?«
»Reeves sagt, er heißt Eric. Ich hole ihn in Moret ab. Wir sind doch morgen abend nicht verabredet, oder?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich glaube, ich gehe jetzt.« Sie nahm ihre Handtasche vom Telefontisch und ein durchsichtiges Cape aus dem Schrank vorn in der Diele. Es könnte regnen.
Tom begleitete sie zum Mercedes. »Übrigens, chérie, bitte kein Wort zu den Grais, daß jemand bei uns wohnt. Nichts über einen jungen Amerikaner. Sage schlicht und einfach, ich würde einen Anruf erwarten.«
Héloïse kam plötzlich ein Gedanke: »Kann es sein, daß du Billy versteckst ? Als Gefälligkeit für Reeves?« Sie saß schon im Wagen, hatte die Scheibe heruntergelassen.
»Nein, Liebes. Reeves hat von Billy noch nie gehört. Der Junge ist nur ein amerikanischer Teenager, der für uns im Garten arbeitet. Aber du weißt doch, was für ein bürgerlicher Snob unser Antoine ist. ›Ein Gärtner – im Gästezimmer!‹ Mach dir einen schönen Abend.« Tom beugte sich hinab und küßte sie auf die Wange. »Versprochen?« fügte er hinzu.
Er meinte damit: Kein Wort über Billy, und ihr gelassenes, amüsiertes Lächeln, ihr Kopfnicken zeigten ihm, daß sie genau das versprach. Sie wußte von den Gefälligkeiten, die Tom hin und wieder Reeves erwies; bei manchen ahnte sie, worum es ging, bei anderen nicht. Irgendwie bedeuteten sie Geld, das Tom verdiente oder jedenfalls erwarb, und das war nützlich. Tom hatte die großen Torflügel für sie geöffnet und winkte ihr nach, als sie hinausfuhr und nach rechts abbog.
Um Viertel nach neun an diesem Abend lag Tom ohne Schuhe auf dem Bett und las Franks Bericht, sein Manuskript:
Samstag, der 22. Juli, begann für mich wie jeder andere Tag. Nichts besonderes. Die Sonne schien, es war einer jener Tage, die alle wunderschön nennen, wenn sie das Wetter meinen. Mir kommt der Tag jetzt besonders seltsam vor, weil ich am Morgen nie geahnt hätte, wie er enden würde. Nichts war geplant. Ich weiß noch, wie mich Eugene so gegen drei fragte, ob ich Lust hätte, Tennis zu spielen – Besucher oder Gäste wären keine da, er hätte ein bißchen Zeit. Ich sagte nein, warum, weiß ich nicht. Dann habe ich versucht, Teresa anzurufen, und ihre Mutter sagte, sie wäre weg, in Bar Harbor, und womöglich erst nach Mitternacht zurück. Ich wurde rasend eifersüchtig, fragte mich, mit wem sie ausgegangen war – ob mit einem oder vielen, das Gefühl blieb das gleiche. Ich nahm mir vor, am nächsten Tag auf jeden Fall nach New York zu fahren, selbst wenn ich unsere Stadtwohnung nicht ohne weiteres nutzen konnte – sie ist im Sommer geschlossen, die Möbel sind verhängt und so weiter. Ich würde Teresa anrufen und sie überreden, in die Stadt zu kommen: Wir könnten uns entweder für ein paar Tage ein Hotelzimmer nehmen, oder sie würde bei mir im Apartment wohnen. Ich wollte einfach den nächsten Schritt tun, und New York schien mir eine tolle Idee, etwas, auf das wir uns freuen könnten. Ich hätte an dem Tag schon in der Stadt sein können, wenn mein Vater nicht gewollt hätte, daß ich mich mit einem Kerl namens Bumpstead oder so ähnlich »unterhalte«, der einigeWochen in Hyannisport Urlaub machen wollte. Dieser Bumpstead wäre Geschäftsmann für irgendwas, sagte mein Dad, um die Dreißig. Er dachte sicher, dreißig wäre jung genug, mich zu bekehren. Zu seinem Leben, zum Geschäftemachen. Der Typ sollte am nächsten Tag kommen. Er kam aber nicht, wegen dem, was passiert ist.
(Hier hatte der Junge zum Kugelschreiber gegriffen.)
Ich aber habe versucht, an Wichtigeres zu denken, an mein ganzes Leben, wenn das geht. Ich wollte die Bilanz meines Lebens ziehen, wie das in Somerset Maughams Die halbe Wahrheit heißt, das ich als Taschenbuch habe. Aber ich weiß nicht, wie weit mir das gelungen ist. Ich hatte einige Kurzgeschichten von Maugham gelesen (sehr gut) – es war, als hätte er auf wenigen Seiten alles verstanden. Und ich dachte, wozu lebe ich, so als müßte mein Leben selbstverständlich einen Sinn haben, was ja nicht stimmt. Ich überlegte, was ich vom Leben wollte, und mir fiel nur Teresa ein, denn ich bin so glücklich, wenn ich bei ihr bin, und sie ist es anscheinend auch, und ich dachte, wenn wir zwei zusammen wären, dann würden wir schon irgendwann das finden, was man Sinn nennt oder Glück oder Zukunft. Ich weiß, ich will glücklich
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