Der Junge, der Ripley folgte (German Edition)
frei.«
»Nein, nein, meine Wohnung liegt auf dem Weg. Kein Problem.« Eric polkte mit der Zungenspitze in einem Zahn herum, um einen Speiserest zu entfernen, und musterte den Jungen nachdenklich.
Frank hatte sein Stück Schokoladentorte fast aufgegessen und drehte gedankenverloren den Stiel seines Weinglases zwischen den Fingern.
Eric sah Tom an, zog die Augenbrauen hoch, doch Tom schwieg, ließ die Rechnung kommen und zahlte. Im hellen Sonnenlicht gingen sie eine Straße weiter zu Erics Wagen. Tom lächelte, spontan schlug er Frank auf die Schulter. Er hätte gerne etwas gesagt wie: »Ist das nicht besser als der Küchenboden?«, aber das konnte er nicht. Eric war der Richtige für so eine Bemerkung, doch der schwieg. Tom wäre gern länger zu Fuß gegangen, allerdings fühlte er sich im Freien neben Frank Pierson zu exponiert, deshalb stiegen beide ein. Tom bekam die Schlüssel zu Haus und Wohnung, und Eric setzte sie an einer Ecke ab.
Vorsichtig näherte sich Tom dem Apartmenthaus, hielt Ausschau nach herumlungernden Gestalten, sah aber keine. Im Foyer war niemand. Der Junge sagte nichts. In der Wohnung zog Tom sein Jackett aus und öffnete das Fenster. Er brauchte frische Luft. »Nun zu Paris«, begann er.
Plötzlich vergrub der Junge das Gesicht in den Händen. Er saß auf dem kleinen Sofa neben dem Couchtisch, die Beine gespreizt, die Ellbogen auf die Knie gestützt.
»Das macht nichts«, sagte Tom verlegen. Ihm war es peinlich für den Jungen. »Heraus damit.«
Kurz darauf riß der Junge den Kopf hoch, stand auf, schob die Hände in die Hosentaschen und murmelte: »Tut mir leid.«
Tom schlenderte ins Bad und bürstete sich gut zwei Minuten lang die Zähne. Dann kehrte er ins Wohnzimmer zurück. Er gab sich gelassen. »Du willst nicht nach Paris, das ist mir klar. Wie wär’s mit Hamburg?«
»Egal wohin!« Sein starrer, durchdringender Blick wirkte hysterisch – als sei er wahnsinnig geworden.
Tom sah zu Boden und mußte blinzeln. »Frank, du kannst nicht einfach ›egal wohin‹ sagen, wie einer, der nicht bei Verstand ist. Ich weiß schon – das mit Teresa verstehe ich. Das ist ein…« Was war das richtige Wort? »…herber Schlag.«
Frank stand versteinert da, wie um Tom zu provozieren, mehr zu sagen. »Trotzdem mußt du dich irgendwann deiner Familie stellen«, wollte Tom sagen. Aber wäre das nicht gefühllos, gerade jetzt? Und war es nicht eine gute Idee, Reeves zu besuchen? Luftveränderung, eine andere Atmosphäre? Er jedenfalls konnte das gut gebrauchen. »Berlin kommt mir ein bißchen klaustrophobisch vor. Ich hätte Lust, Reeves in Hamburg zu sehen. Hab ich ihn nicht in Frankreich einmal erwähnt? Ein Freund von mir.« Tom gab sich Mühe, gutgelaunt zu klingen.
Der Junge wirkte wieder aufmerksamer, höflicher. »Ich glaube, ja. Ein Freund von Eric, sagten Sie.«
»Stimmt. Ich…« Tom zögerte, sah den Jungen an, der den Blick erwiderte, die Hände noch immer in den Taschen vergraben. Er könnte Frank ohne weiteres in ein Flugzeug nach Paris setzen, hart bleiben und ihm auf Wiedersehen sagen. Aber er wurde das Gefühl nicht los, daß der Junge nach der Landung in Paris erneut abtauchen und nie im Hôtel Lutetia ankommen würde. »Ich rufe Reeves an«, sagte Tom und ging zum Telefon, das im selben Moment klingelte. Er überlegte kurz und hob ab.
»Hallo, Tom, hier ist Max.«
»Max! Wie geht es Ihnen? Ich habe Ihre Perücke hier und die Fummel, alles sicher verstaut.«
»Ich wollte Sie heute morgen anrufen, aber ich bin, wie heißt das, versackt? War nicht zu Hause. Dann, vor einer Stunde, hat bei Eric keiner abgehoben. – Also, gestern nacht? Der Junge?«
»Er ist hier. Es geht ihm gut.«
»Sie haben ihn? Sie sind nicht verletzt, auch sonst niemand?«
»Nein.« Tom verdrängte ein jäh aufblitzendes Bild: der Italiener mit zerschmettertem Schädel auf dem Feld in Lübars.
»Rollo fand Sie gestern abend wunderschön. Ich bin fast eifersüchtig geworden, ha! Ist Eric da? Ich habe eine Nachricht für ihn.«
»Nein, er hat einen Termin um drei. Kann ich etwas ausrichten?«
Nein, sagte Max, er werde zurückrufen.
Tom schlug im Telefonbuch die Hamburger Vorwahl nach und wählte Minots Nummer.
»Hallo?« Eine weibliche Stimme, vermutlich Minots Putzfrau, die gelegentlich als Haushälterin einsprang – beleibter als Madame Annette, doch ebenso treu ergeben.
»Hallo. Gaby?«
»Ja?«
»Hier ist Tom Ripley. Gaby, wie geht es Ihnen? Ist Herr Minot zu Hause?«
»Nein, aber er –
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