Der Junge, der Ripley folgte (German Edition)
oh, ich höre was!« fuhr sie auf deutsch fort. »Einen Moment.« Kurz darauf: »Er kommt gerade herein.«
»Hallo, Tom!« Reeves war außer Atem.
»Ich bin in Berlin.«
» Berlin! Könnten Sie mich besuchen kommen? Was machen Sie dort?« Seine Stimme klang rauh und unbedarft, genau wie immer.
»Darüber kann ich jetzt nicht sprechen, aber ich hatte selber daran gedacht, Sie zu besuchen – noch heute abend, wenn’s Ihnen recht ist.«
»Selbstverständlich, Tom. Sie kommen bei mir immer zuerst, außerdem habe ich heute abend sowieso nichts vor.«
»Ich komme mit einem Freund, einem Amerikaner. Könnten wir eine Nacht bei Ihnen schlafen?« fragte Tom. Reeves hatte ein Gästezimmer.
»Auch zwei. Wann sind Sie hier? Haben Sie die Tickets?«
»Nein, aber ich will noch heute abend fliegen. Irgendwann zwischen sieben und neun. Wenn Sie zu Hause sind, rufe ich nicht noch mal an, sondern komme einfach vorbei, ja? Falls ich es nicht schaffe, hören Sie von mir.«
»Okay. Ich freue mich sehr!«
Tom drehte sich um und sagte lächelnd: »Das wäre geklärt. Reeves freut sich auf uns.«
Der Junge saß auf dem kleinen Sofa und rauchte, was er sonst selten tat. Als er aufstand, schien er mit einem Mal genauso groß wie Tom. War er in den letzten paar Tagen gewachsen? Möglich. »Tut mir leid, daß ich so niedergeschlagen bin. Ich komme darüber hinweg.«
»Na sicher tust du das.« Der Junge wollte höflich sein. Vielleicht wirkte er deshalb größer.
»Das mit Hamburg freut mich. Ich will diesen Detektiv in Paris einfach nicht sehen. – Herrgott noch mal! « zischte er gehässig. »Warum fliegen die beiden nicht nach Hause?«
»Weil sie sicher sein wollen, daß du zurückkommst«, antwortete Tom geduldig.
Dann rief er Air France an und buchte zwei Plätze für die 19:20-Maschine nach Hamburg, auf die Namen Ripley und Andrews.
Noch während er sprach, kam Eric zurück. Tom sagte ihm, was sie vorhatten. »Ah, Reeves. Gute Idee!« Eric warf einen Blick auf den Jungen, der gerade seine Sachen gefaltet in den Koffer legte, und bedeutete Tom, ihm ins Schlafzimmer zu folgen.
»Max hat angerufen«, sagte Tom hinter ihm. »Er versucht es später noch mal.«
»Danke, Tom. – Und dann das hier.« Eric schloß die Tür, zog eine Zeitung unter der Achsel hervor und zeigte Tom die Titelseite. »Ich dachte, das sollten Sie sehen.« In Erics Gesicht zuckte sein typisches Lächeln, eher nervös als amüsiert. »Anscheinend haben sie keine Spur. Noch nicht.«
Der Abend brachte auf der Titelseite ein zweispaltiges Foto des Schuppens in Lübars mit dem Italiener, wie Tom ihn zuletzt gesehen hatte: auf dem Boden liegend, den Kopf nach links gedreht, die linke Schläfe eine dunkel geronnene, blutige Masse. Das Blut war ihm über das ganze Gesicht gelaufen. Tom überflog die fünfzeilige Kurzmeldung unter dem Bild: Ein noch unbekannter Mann war am frühen Mittwochmorgen in Lübars tot aufgefunden worden. Er trug italienische Kleidung und deutsche Unterwäsche. Seine Schläfe war zertrümmert, die Schläge stammten von einem stumpfen Gegenstand. Die Polizei bemühte sich, den Toten zu identifizieren, und befragte die Anwohner, ob sie Ungewöhnliches gehört oder gesehen hätten.
»Verstehen Sie alles?« fragte Eric.
»Ja.« Tom hatte zweimal in die Luft gefeuert. Bestimmt würde ein Anwohner die beiden Schüsse erwähnen, auch wenn die den Mann nicht getötet hatten. Jemand könnte einen Unbekannten mit Koffer gesehen und der Polizei beschrieben haben. »Gefällt mir gar nicht.« Tom legte die Zeitung zusammengefaltet auf den Schreibtisch und sah auf seine Uhr.
»Ich kann Sie nach Tegel fahren. Wir haben genug Zeit«, sagte Eric. »Der Junge will wirklich nicht nach Hause, oder?«
»Nein. Außerdem gab es heute schlechte Nachrichten – ein Mädchen in Amerika, das er gern hat. Sein Bruder hat ihm erzählt, daß sie einen neuen Freund hat. Das also auch noch. Wäre er zwanzig, würde er es wohl leichter nehmen.« Oder? Was Frank davon abhielt, nach Hause zu fliegen, war auch sein Vatermord.
17
Als die Maschine zum Landeanflug auf Hamburg ansetzte, erwachte der Junge aus seinem Schlummer. Er preßte die Knie zusammen, um die Zeitung aufzufangen, die fast hinuntergefallen wäre, und warf einen Blick aus dem Fenster neben ihm, doch sie flogen noch zu hoch; außer Wolken war nichts zu sehen.
Tom rauchte verstohlen seine Zigarette zu Ende. Die Stewardessen eilten durch den Mittelgang, sammelten letzte Gläser und Tabletts ein.
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