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Der Junge, der sich in Luft auflöste

Der Junge, der sich in Luft auflöste

Titel: Der Junge, der sich in Luft auflöste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siobhan Dowd
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wozu, Salim?«, fragte ich.
    Â»Zum Riesenrad.«
    Â»Zum Riesenrad kann man nicht zu spät kommen«, sagte ich. »Es dreht sich den ganzen Tag, zweimal pro Stunde, jede Stunde. Auch nach Einbruch der Dunkelheit.«
    Vom Big Ben schlug es elf, als wir uns für die Karten anstellten – die Schlange war sehr lang. Unsere Mütter stöhnten.
    Â»Die ist ja unendlich«, sagte Mum.
    Â»Nein, ist sie nicht«, sagte ich. »Unendlichkeit …«
    Â»Warum gehen wir nicht erst in die Tate Gallery und kommen später noch mal her?«, schlug Tante Gloria vor.
    Â»Ihr habt es versprochen!«, brüllte Salim. Er stampfte mit dem Fuß auf und seine Augenbrauen wölbten sich nach unten.
    Â»Da hat er Recht«, sagte Mum. »Wir haben es wirklich versprochen, Glo. Lass uns bei unserem Plan von gestern Abend bleiben. Hier, Kat, nimm das …« Sie drückte Kat ein paar größere Scheine in die Hand. »Ihr holt die Karten und Gloria und ich, wir setzen uns in das Café da drüben und warten. Wenn ihr sie habt, kommen wir zu euch rüber und stellen uns in die Schlange.«
    Kat machte große Augen, als sie das Geld entgegennahm. Sie verstaute es sorgfältig in ihrem Leopardenfell-Rucksack, dann fanden wir das Ende der Schlange und stellten uns zu dritt an. Eine Dame, die vor uns stand, fragte die Dame vor ihr, ob sie wüsste, wie lange die Wartezeit sei, und eine Dame zwei Plätze weiter vorn sagte, es würde eine halbe Stunde dauern, die Karten zu bekommen, und ein weitere halbe Stunde, bis man einsteigen konnte.
    Â»Eine ganze Stunde«, stöhnte Kat. »Das ist vielleicht doch zu lang.«
    Â»Kat«, sagte ich. »Eine Stunde ist nur ein Tropfen im ewigen Ozean der Zeit.« Das hatte Pater Russell in unserer Kirche einmal über die Lebenserwartung des Menschen gesagt.
    Salim grinste. »Ganz genau.« Er holte seine Kamera wieder hervor und knipste noch ein Bild von der Stelle aus, an der wir in der Schlange standen. Ich fragte ihn, ob ich auch eins machen durfte.
    Â»Erlaub’s ihm bloß nicht«, sagte Kat. »Bei so was ist Ted echt nicht zu gebrauchen. Nachher hast du einen Pflasterstein mit einem halben Turnschuh auf dem Bild.«
    Aber Salim hörte nicht auf sie. Er gab mir die Kamera und ich schaute durch den Sucher und richtete sie auf den Mittelpunkt des Riesenrads. Er hüpfte auf und ab, als ich auf den Knopf drückte. Als ich die Kamera vom Auge nahm, sah ich einen Mann, der auf uns zusteuerte. Er trug eine alte Lederjacke, mit offenem Reißverschluss, und ein schwarzes T-Shirt mit einer Aufschrift, aber ich achtete nicht darauf, was dort stand. Er hatte dunkles Haar und einen Nachmittagsschatten rings ums Kinn, den Dad immer am Wochenende bekommt, wenn er sich einen Tag lang nicht rasiert hat, wie er sagt. Während der Unbekannte näher kam, warf er seine Zigarette zu Boden und trat sie mit dem Absatz aus, wofür er eine Geldstrafe von tausend Pfund riskierte, für Wegwerfen von Müll, aber außer mir hatte es anscheinend niemand bemerkt.
    Er kam direkt auf uns zu. »Entschuldigung«, sagte er. »Braucht ihr vielleicht eine Karte?«
    Kat erklärte, dass wir für fünf Karten anstünden. Der Fremde meinte, er würde uns die eine geben, die er hatte, wenn wir wollten. Er meinte, er hätte ganz vorn in der Schlange gestanden und sei kurz vorm Einsteigen gewesen, aber dann hätte er es sich anders überlegt. Er traute sich einfach nicht.
    Â»Sie trauen sich nicht?«, sagte Salim. Er starrte die Karte in der Hand des Mannes an und dann zum Riesenrad hinauf.
    Â»Ich habe Platzangst. Wenn man mich in so eine Plexiglaskapsel einsperrt, kipp ich um.«
    Ich vergaß, dass man mit Fremden nicht sprechen soll, und sagte: »Die Gondeln sind aus Stahl und Glas, nicht aus Plexiglas.«
    Â»Noch schlimmer! Glas? Nein danke!«
    Â»Es ist verstärktes Glas, sehr hart und sicher …«
    Â»Sie wollen die Karte also nicht mehr?«, schnitt Salim mir das Wort ab.
    Â»Ihr könnt sie haben.« Die Fremde hielt sie uns hin. »Sie ist für elf Uhr dreißig. Das Mädchen da drüben«, er drehte sich um und zeigte auf ein Mädchen mit Sonnenbrille und einer rosaroten Flauschjacke, »hält mir den Platz frei. Es dauert nicht mehr lange, bis sie einsteigen.«
    Salim wandte sich an Kat. »Was meinst du?«
    Â»Weiß nicht«, sagte Kat. »Mum hat

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