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Der Junge, der sich in Luft auflöste

Der Junge, der sich in Luft auflöste

Titel: Der Junge, der sich in Luft auflöste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siobhan Dowd
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Ted.« Kats Tonfall klang sanft. Sie legte mir eine Hand auf die Schulter, wodurch sich meine Nackenhaare aufstellten. »Vertrau mir. Der, den wir gesehen haben, war Salim. Er war es einfach.«
    Ich nahm Kat den Stift wieder ab und strich das, was sie zurneunten Theorie geschrieben hatte, wieder durch. Drei Mal strich ich es durch. Bis zu jenem Moment hatte ich diese Theorie für die allerbeste gehalten. Nun war sie Vergangenheit, kaum dass sie entstanden war. Tot wie ein Dodo, könnte man sagen.

19
    Der Junge im Zug
    Mum kam herein und Kat setzte sich auf den Schreibtisch, um die Fotos und die Liste mit den Theorien zu verdecken.
    Â»Hallo, ihr beiden«, sagte Mum.
    Â»Hallo, Mum«, sagte Kat. Sie ließ die Beine baumeln und starrte Löcher in die Luft.
    Â»Keine so schönen Ferien für euch, was?«
    Â»Mach dir keine Sorgen, Mum. Wir kommen schon klar.«
    Mum lächelte. Dann sagte sie, die Polizei käme noch einmal vorbei, und wir sollten runterkommen, für den Fall, dass sie irgendwelche Fragen an uns hätten. Danach verließ sie das Zimmer und Kat stand auf und versteckte die Theorienliste samt den Fotos in der kleinen Schublade unter meinem Schreibtisch. Dann nahm sie das Erinnerungsfoto und meinte, sie würde es der Polizei geben, vielleicht könnten sie ja was damit anfangen. Nachdem sie gegangen war, zog ich die Schublade wieder auf und entdeckte mein Lieblingsfoto, Salims Schnappschuss von mir und Kat auf der Fußgängerbrücke. Es sah aus, als wüchse ein Stück des Riesenrads direkt aus meiner Schulter.Ich legte es in mein Buch über Wettersysteme, zwischen Zyklonen und Antizyklonen, wo es sicher war. Dann folgte ich Kat nach unten.
    Es dauerte nicht lange, bis der Streifenwagen vorfuhr, und Mum und Tante Gloria nahmen wieder ihre Plätze auf dem Sofa ein, während Dad Kriminalkommissarin Pearce hereinführte, die diesmal alleine kam. Sie setzte sich auf denselben Stuhl wie am Tag zuvor.
    Einen Moment lang herrschte Schweigen. Dann ging Kat zu ihr hinüber und streckte ihr das Erinnerungsfoto hin.
    Â»Tut mir leid, dass wir es Ihnen nicht schon früher gegeben haben, aber wir haben nicht dran gedacht, nicht wahr, Ted?«
    Â»Hmpf«, sagte ich.
    Kriminalkommissarin Pearce nahm das Foto entgegen, schüttelte den Kopf und lächelte. »Das haben wir bereits, Kat«, sagte sie. »Und noch vierundsechzig weitere. Aber trotzdem danke.«
    Tante Gloria griff nach dem Foto und warf einen Blick darauf. »Was ist das?«
    Â»Ein Foto von den Leuten in der Gondel, Tante Gloria«, erklärte ich. »Die Gondel, in der …«
    Â»Leider findet sich auf keinem der Bilder eine Spur von Salim«, sagte Kriminalkommissarin Pearce. »Auch nicht auf dem Filmmaterial der Überwachungskameras. Viel davon habe ich selbst durchgesehen. In dieser Gondel«, sie beugte sich vor und deutete auf den dicken Weißhaarigen im Regenmantel, »stand ein recht beleibter Herr fast die ganze Fahrt über immeran derselben Stelle und verdeckte einen Teil dessen, was die Kamera aufnahm.«
    Tante Gloria warf das Foto auf den Boden, mir vor die Füße. Ich hob es auf. »Wisst ihr, was ich glaube?«, sagte sie. »Ich glaube, dass er nie in dieses verdammte Riesenrad eingestiegen ist!«
    Â»Eine interessante Theorie, Tante Gloria«, sagte ich. »Eine, die ich auch in Betracht gezogen habe, aber …«
    Â»Ted«, sagte Mum und legte ihren Finger an die Lippen, was eine Körpersprache ist, die sogar ich inzwischen begreife. Es bedeutet: »Halt den Mund!«
    Wieder herrschte Schweigen.
    Dann sagte die Kommissarin, dass sie möglicherweise eine Spur hätten. Ein Junge, auf den Salims Beschreibung passen würde, sei gestern um vier Uhr nachmittags von einem Wachmann an der Euston Station dabei beobachtet worden, wie er die Fahrkartenschranke umging und gerade noch, kurz bevor die Türen sich schlossen, in einen Zug sprang.
    Â»In einen Zug? Was für einen Zug?«, fragte Tante Gloria.
    Â»Ein Intercity von London nach Manchester.«
    Â»Manchester? Aber da sind wir doch gerade hergekommen. Warum sollte Salim dahin zurückfahren?«
    Â»Der Junge, falls es Salim war, war allein. Unglücklicherweise verliert sich danach seine Spur. Der Schaffner im Zug kann sich nicht an ihn erinnern. Er könnte unterwegs an jeder Station ausgestiegen sein. Aber die Polizei von Manchester ist gerade dabei zu

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