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Der Junge, der sich in Luft auflöste

Der Junge, der sich in Luft auflöste

Titel: Der Junge, der sich in Luft auflöste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siobhan Dowd
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herangingen, war er es nicht. Dad blieb stehen, um einen Blick auf das Wasser zu werfen. Er deutete auf zwei Kormorane, die erst nur mit den Köpfen und dann vollständig untertauchten, für eine Ewigkeit verschwanden und schließlich wieder auftauchten, mehr als zehn Meter von ihrer Eintauchstelle entfernt.
    Â»Ist Salim wie die Kormorane, Dad?«
    Â»Wie bitte, Ted?«
    Â»Wird er am Ende wiederauftauchen? Genau wie sie? Vielleicht nicht dort, wo er verschwunden ist, sondern an einer anderen Stelle?«
    Dad antwortete nicht sofort. Er blickte flussabwärts, mit heruntergezogenen Mundwinkeln, was bedeutete, dass er traurig war. Vielleicht dachte er an den Jungen auf dem Metalltisch, der Salim hätte sein können, es aber nicht war. »Ich hoffe sehr, dass Salim es so macht wie die Kormorane, Ted.«
    Wir überquerten den Fluss, liefen hinüber zu den Embankment Gardens und aßen Sandwiches im Park Café. Danach spazierten wir zwischen den bunten Blumenbeeten umher. Und dann, genau wie ich es am Morgen vorhergesagt hatte, brach ein Gewitter los. Erst fielen nur ein paar Tropfen, dann goss es in Strömen. Ein Donnerschlag ertönte. Das instabile System in den oberen Schichten der Atmosphäre entlud sich. Ich dachte an Theorie Nummer fünf, die spontane Selbstentzündung. Wenn so etwas wie Donner möglich war, warum dann nicht auch das?
    Â»Gut, dass wir jetzt nicht auf dem Riesenrad sind«, sagte Dad. Es blitzte. Zehn Sekunden später donnerte es wieder.
    Â»Dad«, sagte ich. »Das Gewitter ist drei Kilometer von uns entfernt. Selbst wenn es mehr in der Nähe wäre, lägen deine Chancen, vom Blitz getroffen zu werden, nur bei eins zu drei Millionen.«
    Wir rannten zur U-Bahn-Station. Inzwischen regnete es junge Hunde. (Das ist die seltsamste Redewendung, aber ich finde sie am tollsten. Wenn ich mir vorstelle, dass junge Hunde vom Himmel fallen, dann sind es Dalmatinerwelpen.) Der Regen verwandelte sich in Hagel. Blitz und Donner lagen nur noch vier Sekunden auseinander.
    Â»1,2 Kilometer«, sagte ich. »Und das war ein Wetterleuchten, was bedeutet …«
    Â»Halt die Klappe, Ted«, sagte Kat. Sie hatte den Kragen ihrer Jacke über den Kopf gezogen. »Ich bin klatschnass.«
    Dad warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Drei Uhr. Keine Anrufe auf der Mailbox. Also keine Neuigkeiten.«
    Â»Lasst uns nach Hause fahren«, sagte Kat. »Es ist zu nass, um sich draußen aufzuhalten.«
    Â»Okay, Kat. Es reicht für heute.«
    Wir liefen die Treppe hinunter in den U-Bahn-Schacht. Als wir nach einiger Zeit wieder an der Erdoberfläche auftauchten, war der Sturm weitergezogen. Es regnete nicht mehr. Bäche rannen über die Bürgersteige.
    Â»Es war ein flächenmäßig sehr begrenztes Sturmsystem«, erläuterte ich.
    Â»Dad«, sagte Kat. »Hast du was dagegen, wenn wir noch mal schnell zur Drogerie gehen? Ich möchte Tante Glo ein Geschenk besorgen. Irgendein Entspannungsbad.«
    Dads Mundwinkel schossen steil nach oben. »Das ist eine großartige Idee, Katze.«
    Wir warteten, während Kat wieder in der Drogerie verschwand. Sie kam mit einer Plastikflasche heraus, in der sich eine sirupartige himbeerfarbene Flüssigkeit befand. Dad schraubte den Verschluss ab, schnupperte und verzog die Nase. Was bedeutete, dass er den Duft nicht besonders angenehm fand, aber er sagte: »Das ist bestimmt gut.«
    Was er nicht sah – ich jedoch sehr wohl –, war der obere Rand einer Papiertasche voller entwickelter Fotos, die aus der Seitentasche von Kats Pelzkragenjacke hervorguckte.

18
    Die neunte Theorie
    Als wir nach Hause kamen, war das Wohnzimmer voller Smog von Tante Glorias Zigaretten. Technisch gesehen ist Smog eine Mischung aus Rauch, Nebel und chemischen Dämpfen, aber dieser Smog war ein Gemisch aus Rauch, Rauch und noch mehr Rauch. Mum sagte, es gäbe keine Neuigkeiten, aber das wussten wir ja schon, weil Dads Handy nicht geklingelt hatte. Ich wollte ihr und Tante Gloria von unserem Ausflug zum Riesenrad berichten, aber Kat begann zu husten und Dad sagte, wir hätten einen schönen Spaziergang am Flussufer gemacht. Dann gab Kat Tante Gloria das Badeöl und sagte, es sei ein Geschenk von uns beiden, und als Tante Gloria einen Blick aufs Etikett warf, hoben sich ihre Mundwinkel. Sie sagte »Danke, Kat« und »Danke, Ted« und fügte hinzu, dass es die Marke sei, die

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