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Der Junge, der sich in Luft auflöste

Der Junge, der sich in Luft auflöste

Titel: Der Junge, der sich in Luft auflöste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siobhan Dowd
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überprüfen, ob er sich vielleicht dort aufhält …«
    Â»Bei seinem Vater!«, sagte Tante Gloria.
    Â»Ich fürchte, bei seinem Vater ist er nicht. Dort haben wir als Erstes nachgeforscht.« Die Kommissarin holte Salims Adressbuch hervor. »Wir haben mit allen gesprochen, die ihm laut Ihrer Aussage nahestanden. Mit seinem Cousin und seiner Cousine, Ramesh und Yasmin. Mit den Nachbarn, den Tysons. Mit seinem Schulfreund Marcus Wind. Und mit seinem alten Freund aus der Grundschule, Paul Burridge.«
    Â»Und?«
    Â»Keiner hat ausgesagt, von ihm gehört zu haben, seit Sie vor zwei Tagen abgereist sind.«
    Â»Hmpf«, sagte ich. »Das ist …«
    Â»Pscht, Ted«, sagte Mum.
    Â»Wenn Salim wirklich nach Manchester gefahren ist«, sagte die Kriminalkommissarin zu Tante Gloria, »wo, schätzen Sie, würde er am wahrscheinlichsten hingehen?«
    Tante Gloria starrte vor sich hin und stieß einen Seufzer aus. »Das glaub ich nicht«, sagte sie.
    Â»Wie bitte?«
    Â»Ich denke, mit dem Jungen im Zug ist es genauso wie mit dem Jungen im Leichenschauhaus gestern Abend. Der Junge, den Sie für Salim hielten, obwohl er es nicht war.«
    Kriminalkommissarin Pearce streckte den Arm aus und berührte Tante Glorias Hand. »Diese Sache tut mir aufrichtig leid, Gloria. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir noch keinen richtigen Lichtbildausweis. Aber mittlerweile schon.« Sie entnahm dem braunen Umschlag, den sie die ganze Zeit in der Hand gehalten hatte, ein Foto von Salim und zeigte es uns. »Ihr Exehemann hat uns dieses hier gegeben. Würden Sie sagen, dass Salim darauf gut zu erkennen ist?«
    Salim trug seinen Schulblazer, mit einem Sweatshirt darunter, und über seiner Oberlippe verlief die schwache Linie eines Bartes. Er wirkte auf dem Bild weder glücklich noch traurig, denn seine Lippen waren gerade und zeigten weder nach oben noch nach unten.
    Â»Das ist er«, flüsterte Tante Gloria. »Ich habe zwei Abzüge gekauft, damit er Rashid, seinem Vater, eins der Bilder geben konnte. Das mache ich jedes Jahr, ich weiß auch nicht, warum. Ich weiß nicht mal, ob Rashid sie rahmen lässt. Ich weiß …«
    Es klingelte an der Tür. Dad ging hinaus in die Diele, um zu sehen, wer es war. Ich hörte Stimmen und im nächsten Augenblick spazierte ein hochgewachsener Inder herein, der Jeans und ein grünes Hemd trug.
    Â»Wenn man vom Teufel spricht«, zischte Tante Gloria leise. Ich hörte es nur, weil ich direkt neben ihr stand. Besonders satanisch wirkte der Mann auf mich nicht. Ich hielt ihn für einen weiteren Polizisten in Zivil. Meine Hand begann zu schlackern.
    Â»Was ist los?«, sagte der Mann. »Haben Sie meinen Sohn gefunden?« Er blickte Tante Gloria an.
    Und sie blickte ihn an. »Was machst du denn hier?«
    Â»Ich suche meinen Sohn, was sonst? Mal wieder typisch, dass er dir verlorengeht!«
    Vielleicht hatte der Satan ja doch den Raum betreten, denn alle fingen wütend zu reden an. Ich presste beide Hände auf dieOhren, aber die Stimmen waren immer noch zu hören. Ich zählte die Leute, die sich im Zimmer befanden. Sieben. Ich versuchte von denjenigen, die ich nicht kannte, das Alter zu erraten. Dann zählte ich die Jahre, die tatsächlichen oder ungefähr richtigen, aller Anwesenden zusammen. Als ich auf die Zahl 233 kam und ausrechnete, dass das durchschnittliche Alter dreiunddreißig Komma Periode drei betrug, brüllten die anderen sich immer noch wütend an. Der Unterschied zwischen Vor-Lachen-Platzen und Vor-Wut-Platzen ist, dass man bei dem einen fröhlich und bei dem anderen wütend ist. Ich mag es viel, viel lieber, wenn Leute vor Lachen platzen.
    Kriminalkommissarin Pearce erhob sich von ihrem Stuhl. »Ich sollte jetzt besser gehen«, sagte sie, aber ich bin mir nicht sicher, ob jemand zuhörte, außer mir und Dad, der sich an der Brüllerei ebenfalls nicht beteiligt hatte. Er geleitete sie in die Diele und ich lief hinterher. Aus dem Wohnzimmer drangen immer noch die lauten Stimmen.
    Â»Auf Wiedersehen, Mr Spark«, sagte die Kommissarin. »Nochmals Entschuldigung wegen gestern Abend.«
    Ich spürte, wie sich Dads Arm auf meiner Schulter verkrampfte. »Werden Sie herausfinden, wer dieser arme Junge war?«
    Â»Wir arbeiten daran«, sagte Kommissarin Pearce. »Und was Salim angeht: Wenn sich alle wieder beruhigt haben, fragen Sie sie doch

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