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Der Junge, der sich in Luft auflöste

Der Junge, der sich in Luft auflöste

Titel: Der Junge, der sich in Luft auflöste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siobhan Dowd
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nachdem Tante Gloria einen Schluck von ihrem Tee getrunken hatte.
    Ich spürte, wie Kats Hand nach meiner griff und fest zudrückte.
    Die Kommissarin schüttelte den Kopf. »Neuigkeiten ja, aber weder gute noch schlechte. Eher der neueste Stand der Dinge. Was wir Ted zu verdanken haben.«
    Alle starrten mich an.
    Â»Ted?«, sagte Mum.
    Â»Ted?«, sagte Dad.
    Â»Ted?« sagte Kat.
    Ich schwieg und blickte auf den Küchenboden.
    Â»Ted hat herausgefunden, was mit Salim an dem Tag seines Verschwindens geschehen ist«, fuhr die Kommissarin fort. »Seine Schlussfolgerungen stimmten mit der Richtung unserer Ermittlungen überein, aber ich muss zugeben, dass er es vor uns wusste.«
    Â»Ted!«, wiederholte Kat. Ihr Mund war weit aufgerissen und die Kinnlade hing schlaff herunter.
    Â»Wir haben die Spur verfolgt, auf die Ted uns hingewiesen hatte, aber bislang wissen wir noch immer nicht, wo Salim ist.«
    Tante Gloria stöhnte auf und ließ den Kopf in ihre Hände sinken.
    Â»Aber wir wissen inzwischen, wer der Junge in dem Zug war.«
    Â»Salim?«, fragte Mum.
    Die Hände der Kommissarin öffneten sich.
    Â»Nicht Salim«, sagte sie. »Hier kommt der Junge, der im Zug saß, bitte sehr.«
    Eine zweite Polizeibeamtin, diesmal in Uniform, betrat den Raum und brachte einen Jungen herein, der ungefähr in Salims Alter war, aber Salim war es nicht. Er versteckte sich halb hinter der großen Polizistin. Der Junge hatte Pausbacken und schwarzes Haar. Er wirkte asiatisch, obwohl es schwer war, ihnrichtig zu erkennen, weil er die Kapuze seines Sweatshirts über den Kopf gezogen hatte, so dass sie sein Gesicht teilweise verdeckte.
    Â»Du!«, keuchte Tante Gloria.
    Â»Hallo, Marcus«, sagte ich.

36
    Wetterforschung
    Ihr fragt euch bestimmt, wie ich es herausgefunden habe. Oder vielleicht arbeitet euer Gehirn ja auch mit einem anderen Betriebssystem als das von anderen Leuten, so wie bei mir, und ihr seid selber drauf gekommen.
    Ich hatte nichts anderes getan, als von 12.02 Uhr an dem Montag von Salims Verschwinden bis um 18.04 Uhr an dem Mittwoch, als ich die Polizei anrief, nachzudenken. Macht fünfundfünfzig Stunden und zwei Minuten Nachdenken, wenn man die Schlafenszeit mitrechnet, und das tue ich, denn im Schlaf grübelt man weiter.
    Immer und immer wieder war ich die neun Theorien durchgegangen. Nummer eins, zwei und acht hatten wir durch Überprüfung ausgeschlossen. Salim konnte unmöglich für eine zweite Runde in der Gondel geblieben sein, meine Uhr ging auch nicht falsch und unter der Kleidung eines anderen Fahrgastes hätte er sich auch nicht verstecken können, ohne dass wir es bemerkt hätten. Kat hatte mich außerdem davon überzeugt, dass die neunte Theorie, nach der Salim gar nicht ersteingestiegen war, falsch sein musste. Die Theorien fünf und sieben (spontane Selbstentzündung und die Zeitschleife) hatte Kat von vornherein verworfen. Im Gegensatz zu mir. Aber es gab einen Grund, der mich schließlich davon überzeugte, sie durchzustreichen, einen, von dem ich Kat nichts erzählt hatte. Ich hatte nachgezählt, wie viele Personen in die Gondel eingestiegen waren. Einundzwanzig. Und ich hatte nachgezählt, wie viele ausgestiegen waren. Einundzwanzig. Wodurch mir klarwurde, dass nur zwanzig ausgestiegen wären, wenn Salim sich spontan selbst entzündet hätte oder in einer Zeitschleife verschwunden wäre.
    Blieben also die Theorien drei, vier und sechs. Nummer drei und Nummer vier basierten beide auf der Annahme, dass wir Salim beim Aussteigen irgendwie verpasst hatten. Ich hatte der Polizei bereits gesagt, dass die Wahrscheinlichkeit hierfür bei nur etwa zwei Prozent lag. Was wiederum bedeutete, dass eine 98-prozentige Wahrscheinlichkeit bestand, dass Salim die Gondel in irgendeiner Verkleidung verlassen hatte.
    Anfangs hatten wir diese Theorie für unwahrscheinlich gehalten. Aber je mehr ich in diesen fünfundfünfzig Stunden und zwei Minuten darüber nachdachte, desto wahrscheinlicher erschien sie mir. Als wir am nächsten Tag mit Dad eine Runde im Riesenrad drehten, war mir ein günstiger Moment zum Verkleiden aufgefallen, ohne dass jemand etwas davon mitbekommen hätte. Nämlich wenn alle sich umdrehen, um für das Erinnerungsfoto zu posieren. Jeder schaute fast eine ganze Minute lang in dieselbe Richtung, bis der Blitz aufleuchtete.
    Also hatte ich mir das Foto von Salims Gondel,

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