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Der Junge, der sich in Luft auflöste

Der Junge, der sich in Luft auflöste

Titel: Der Junge, der sich in Luft auflöste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siobhan Dowd
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des Sofas, auf meine schlackernde Hand, und nahm mit der anderen Hand den Hörer ab. Dann wählte ich die Nummer von Kriminalkommissarin Pearce.

34
    Rauch
    Die Zeit verging.
    Kat und Mum kamen Arm in Arm die Treppe herunter. So hatte ich die beiden schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen. Aus ihrer Körpersprache konnte ich schließen, dass sie sich wieder vertragen hatten, und das freute mich, weil es bedeutete, dass mein Verständnis von Körpersprache immer besser wurde.
    Dann kam Tante Gloria in ihrem Morgenmantel nach unten. Ihre Lippen waren glanzlos und ihre Augen leer, so dass ich nicht wusste, was ihre Körpersprache bedeutete, und das gefiel mir weniger.
    Dad und Rashid gingen los, um für alle was vom Inder zu holen, und kehrten mit einem Dutzend Aluschachteln voll dampfendem Essen zurück. Ich aß zwei dreieckige Teigtaschen, Huhn Biryani und das Meiste von Kats Huhn Korma, was ihr zu viel war. Dad schaffte das Meiste von seinen Garnelen Bhuna. Bei den anderen blieb das Essen bergeweise auf dem Teller liegen. Tante Gloria knabberte etwa eine halbe Stundelang an ihrer frittierten Zwiebel herum. Mums Gabel fuhr über den Teller und schob die ganze Zeit dieselbe Kichererbse vor sich her. Rashid nippte an einem Bier und starrte sein Essen an, ohne anzufangen.
    Â»Wie war die Arbeit?«, sagte Mum zu Dad.
    Er zuckte mit den Schultern. »Ruhig. Ich bin heute nach Peckham runtergefahren. Ein neuer Auftrag.«
    Danach sagte niemand mehr etwas.
    Ich hätten ihnen am liebsten erzählt, was ich wusste und von meinem Gespräch mit Kriminalkommissarin Pearce, aber sie hatte mir aufgetragen, erst mal nichts zu sagen, damit sich niemand falsche Hoffnungen machte. Hoffnung ist ja normalerweise etwas Gutes, hatte sie mir erklärt, aber wenn man auf irgendetwas sehr stark hofft und es dann aber nicht passiert, ist man enttäuscht und am Boden zerstört. Ich fragte sie, ob »am Boden zerstört« so wäre, wie mit einem Flugzeug abzustürzen, und sie meinte, ja, so ähnlich wäre es.
    Das mit dem Flugzeug setzte eine neue Gedankenkette bei mir in Gang, nämlich dass ich eines Tages gerne fliegen würde, aber nur mit einem Heißluftballon und bei schönem Wetter, und dann würde ich Messinstrumente mitnehmen, für den Luftdruck und die Außentemperatur, und ich würde Tonaufnahmen machen und …
    Â»Bodenstation an den Planeten Pluto«, sagte Dad.
    Ich blickte zu ihm hinüber. Das macht er immer, um meine Aufmerksamkeit zu erregen, wenn meine Gedanken sich sehr, sehr weit von meinem Körper entfernen.
    Â»Reich mal den Reis rüber, Ted«, sagte er lächelnd.
    Ich reichte den Reis rüber. Dann wurde es wieder still.
    Es kam mir vor, als hätten alle beschlossen, Salim nicht mehr zu erwähnen. Kat drehte die ganze Zeit eine braune Haarsträhne um ihren Finger. Tante Gloria zündete sich eine Zigarette an, vergaß aber, sie zu rauchen. Ich sah zu, wie die Zigarette abbrannte, und meine Augen verfolgten den Rauchfaden auf seinem Weg durch die Luft. Er wurde nach links über ihre Schulter gelenkt, obwohl kein Fenster geöffnet war und kein Windhauch durch die Küche ging. Das brachte mich wieder auf den Coriolis-Effekt und dass er unsichtbar ist und dennoch Dinge von ihrem Kurs abbringen kann.
    Â»Tante Gloria …«, sagte ich.
    Â»Pscht, Ted«, ermahnte mich Mum.
    Â»Nein … Lass ihn doch sagen, was er sagen will«, sagte Tante Gloria.
    Â»Warum zündest du Zigaretten an und rauchst sie dann nicht?«, fragte ich.
    Â»Ted!«, sagte Mum. »Gönn deiner Tante Glo mal eine Pause!«
    Tante Gloria lächelte ein kleines bisschen. »Ich habe nicht mal gemerkt, dass ich mir eine angezündet habe, Ted. Ich sag dir mal was. Wenn das hier vorbei ist … Wenn Salim … wenn er gesund wieder zurückkommt, werde ich mit dem verdammten Rauchen aufhören. Versprochen.«
    Sie lehnte sich zurück und nahm einen tiefen Zug, während ihr Tränen über das Gesicht liefen. Ich war mir nicht sicher, was sie zum Weinen brachte: der Gedanke, mit dem Rauchenaufzuhören, oder die Angst, dass Salim vielleicht nicht gesund zurückkehrte. Wieder wurde es still im Raum. »Wenn er gesund zurückkommt«, wiederholte sie, und da wusste ich, dass sie wegen Salim weinte, nicht wegen der Zigaretten.
    Ich aß weiter. Als ich Messer und Gabel wieder hinlegte, horchte ich auf die

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