Der Junge, der sich in Luft auflöste
Kollegen, der auf uns wartet. Sie möchte auch, dass Sie seine Geschichte hören. Wenn er hier fertig ist, können die beiden nach Hause.«
»Aber ich verstehe nicht â¦Â« Rashid presste die Knöchel seiner Hände an die Stirn.
»Marcus und Salim haben an dem Tag, als Salim verschwand, einige Stunden miteinander verbracht«, erklärte Kommissarin Pearce. »Nicht wahr, Marcus?«
Er nickte.
»So hatten sie es abgemacht. Dann fuhr Marcus allein zurück nach Manchester. Salim blieb hier. Aber eigentlich sollte er mitfahren, stimmtâs, Marcus?«
Wieder ein Nicken.
»Wie Sie sehen, hatte Salim sich also vorgenommen wegzulaufen.«
»Nein!« Tante Gloria stöhnte und lieà den Kopf in die Hände sinken.
»Aber er tat es nicht. Letztendlich nicht. Er hat sich anders entschieden.«
Tante Gloria blickte auf. »Er hat sich anders entschieden«,sagte sie leise und nickte. »Genau. Er hat sich anders entschieden.«
»Möchtest du es erklären, Marcus?«, fragte Kriminalkommissarin Pearce. »Oder soll ich lieber deine Aussage vorlesen?«
Es entstand eine Pause. Marcus setzte seine Kapuze wieder auf, so dass sein Gesicht verschwand. Und seine Stimme, die kaum zu hören war, sagte: »Die Aussage, Miss.« Also las Kriminalkommissarin Pearce seine Aussage laut vor und sie lautete wie folgt:
POLIZEILICHE MITSCHRIFT DER AUSSAGE DES ZEUGEN MARCUS WIND
Ich heiÃe Marcus Wind und das hier ist die Wahrheit. Salim ist mein bester Freund, denn bevor er letzten September auf meine Schule kam, wurde ich immer Paki-Kanake genannt, aber jetzt nicht mehr. Ich komme gar nicht aus Pakistan. Meine Mutter ist aus Bangladesh und mein Vater ist Ire, aber das hat Jason Smart nicht davon abgehalten, mir jeden Tag mein Pausenbrot wegzunehmen und zu sagen, na, wie schmeckt denn heut die Curry-Ziege, Paki-Kanake, und dann hat er es auf den Boden geworfen, obwohl nur Käse und Tomate drauf war.
Dann kam Salim in meine Klasse und setzte sich neben mich. Sie nannten ihn Paki-Kanake Nummer zwei, aber er reagierte gar nicht drauf, nicht mal, als JasonSmart sich seine Pausenbrote schnappte, sie auf den Boden warf und meinte, die würden schlimmer stinken als der Arsch von einem Yak. Als Jason am nächsten Tag seine eigene Brotdose aufmachte, waren tausend wimmelnde Maden drin. Die ganze Klasse bekam einen Anfall. Und Salim war nun nicht mehr der Paki-Kanake Nummer zwei, sondern der absolut supercoole Obermacker, und weil ich sein Freund war, waren wir zusammen die Obermacker. Wir steckten unsere T-Shirts halb rein und lieÃen sie halb raushängen und waren die Coolsten der 9k.
Als cooler Typ darf man sich nicht groà engagieren. Man sitzt ganz hinten im Klassenraum und macht ein megagelangweiltes Gesicht. Aber beim Theaterspielen war das anders. Wir waren die coolen Engagierten, weil Mr Davison so cool war. Er hat uns ausgewählt, Ostern bei der Schulaufführung mitzuspielen, in Der Sturm. Mr Davison spielte den Prospero, Salim war Ferdinand und ich war Miranda. Haha. Das Mädchen. Damals war ich noch nicht im Stimmbruch. Ich musste eine lange, dunkle Perücke und ein weiÃes Kleid tragen, und jedes Mal, wenn ich sagte, ich wäre »ganz gewiss eine Maid«, johlte die ganze Klasse und trampelte mit den FüÃen, und dann rollte ich immer mit den Augen und alle sagten »oooh-la-la«. Mr Davison meinte, ich wäre ein genialer Komiker.
Nach den Osterferien kam Salim dann mit schlechten Neuigkeiten in die Schule. Seine Mutter würde nach New York ziehen und ihn mitnehmen. Ich war total geplättet. Ich saà im Wissenschaft-und-Technik-Unterricht und dachte darüber nach, ein paar Chemikalien zu klauen und alles zusammen zu schlucken, weil ich den Gedanken nicht ertrug, wieder der Paki-Kanake zu sein. Denn ohne Salim wäre ich es wieder.
Salim wollte auch nicht weg. Er fragte seinen Vater, ob er bei ihm leben könnte, aber er sagte nein. Dann hat seine Mutter die Flugtickets gebucht. Sie wollten von London aus fliegen, damit sie vorher noch diese Verwandten besuchen konnten, die sie seit Jahren nicht gesehen hatten, Familie Spark. Salim sagte, zur Hölle mit den Sparks. Ich sagte, wenigstens könnte er dann mit dem Riesenrad fahren, wovon wir beide immer schon geträumt hatten. Aber Salim meinte, ohne mich würde es ihm keinen Spaà machen. Und dann kam uns die geniale Idee.
Wir beschlossen uns zu treffen, ich
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