Der Junge, der sich in Luft auflöste
rückte ich die Perücke gerade und setzte ihm die Sonnenbrille auf. Das Ganze dauerte nur ein paar Sekunden. Niemand bemerkte etwas. Sie schauten alle in die andere Richtung, für ihr Erinnerungsfoto.
SchlieÃlich landete die Gondel wieder unten. Wir stiegen vor den Augen der Sparkkinder aus, die völlig verdutzte Gesichter machten. Salim ging so komisch, wie ein Mädchen. Kurz darauf lief er an dem Tisch vorbei, wo seine Mutter saà und Kaffee trank, und sie schaute ihn direkt an, ohne ihn zu erkennen.
Ich zog ihn rasch weiter, ehe sie mich bemerkte, und wir verschwanden in der Menge. Er holte sein Handy hervor und schaltete es aus. »Der Tag gehört uns, Marcus!«, rief er, schlug mir auf den Rücken und nahm die Perücke ab. Er hatte seinen Fotoapparat bei den Sparkkindern vergessen, aber unser Geld reichte noch, also kaufte er in einer Drogerie eine Einwegkamera und schoss ein Foto von mir auf der Brücke. Und dann kaufte er Hotdogs und Marsriegel und Cola und wir picknickten in diesem Park am Fluss, und ich machte eine schnatternde Ente nach, worauf er meinte, ich wäre ein genialer Komiker. Dann gingen wir zu diesem Platz, wo all diese StraÃenkünstler auftreten. Sie waren saukomisch â ein Jongleur auf Stelzen, der ein Loch in der Hose hatte, ein Zauberer mit einer Silberkugel, die ihm über den Körper rollte, ein Clown, der hintereinander zehn Purzelbäume schlug und auf seiner Nase landete. Nach der Vorstellung gab Salim ihm sein letztes Pfund. Wir liefen die Tottenham Court Road hinauf und stieÃen auf diesen Laden, der Elektroklaviere verkaufte. Als Klangfarben konnteman Orgel, Streicher, Bläser und Schlagzeug einstellen, alles gleichzeitig. Es war super, der schönste Tag, den ich je hatte. Ich wollte, dass er nie zu Ende geht. Aber so kam es.
Wir erreichten die Euston Station, und dort sagte Salim mir dann, dass er nicht mitkommen würde.
»Ich kann nicht, Marcus«, sagte er.
»Kannst du. Es ist leicht. Du steigst ein und versteckst dich auf dem Klo.«
»Darum geht es nicht. Ich kann nicht weglaufen. Nicht von meiner Mutter. Sie ist schon sehr speziell, aber sie ist nun mal die einzige Mutter, die ich habe. Und es geht auch nicht nur um sie. Auch um meinen Cousin und meine Cousine. Ted und Kat.«
»Die Sparks? Ich dachte, die könnten dir gestohlen bleiben.«
»Das war, bevor ich sie wiedergesehen habe. Kat und Ted sind super. Wenn ich nicht zurückgehe, kriegen sie Ãrger, weil sie mich allein aufs Riesenrad gelassen haben. Und Mum wird ausrasten.«
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Leute liefen eilig vorbei und rannten, um ihren Zug zu kriegen. Lautsprecheransagen hallten durch den Bahnhof. Ich hörte die Ansage für einen Zug nach Manchester: meinen Zug.
»Du bist doch nur ein Möchtegern-Macker«, sagte ich.
»Stimmt. Du bist der echte Obercoole, Marcus. Mit dir kann ich echt nicht mithalten.« Er lächelte. »Das mit den Maden, das warst du, stimmtâs?«
»Woher weiÃt du das?«
»Als ich das letzte Mal bei euch zu Hause war, hat mir dein Vater von seinem Hobby erzählt. Angeln.«
Dann gab er mir Shannons rosarote Jacke zurück und ich stopfte sie zusammen mit der Perücke in meinen Rucksack. Aber die Sonnenbrille durfte er behalten. Sie stand ihm gut. Ein Pfeifen ertönte. Mein Zug. Wir verabschiedeten uns und er umarmte mich.
»Renn, Marcus. Ich schick dir eine Karte vom Empire State Building.«
Ich rannte. Türen schlugen zu und ich hörte, wie er hinter mir herschrie: »Lass dich nicht Paki-Kanake nennen. Du bist der obercoole Marcus, klar? Du bist ein genialer Komiker!«
Ein Schaffner sah mich und brüllte. Ich sprang in den Zug und schaffte es gerade im letzten Moment, bevor die Türen zufielen. Salim winkte, als der Zug losfuhr. Das war das Letzte, was ich von ihm sah.
Ich versteckte mich bis Stroke-on-Trent in der Toilette. In Manchester stieg ich aus, ohne erwischt zu werden, und ging nach Hause. »Wie warâs bei den Pfadfindern?«, fragte Mum.
»Super«, sagte ich.
Später am Abend, als ich Shannons Jacke heimlichwieder in ihren Schrank hängte, fand ich in der Jackentasche Salims Handy. Er hatte es vergessen, genau wie er seinen Fotoapparat bei den Sparkkindern vergessen hatte. Ich würde ihm per Mail Bescheid geben, wenn er in New York war, dachte ich und legte es in meine Schreibtischschublade.
Am
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