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Der Junge, der sich in Luft auflöste

Der Junge, der sich in Luft auflöste

Titel: Der Junge, der sich in Luft auflöste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siobhan Dowd
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in meiner Miranda-Verkleidung, und zusammen mit dem Riesenrad zu fahren. Dann würde er die Verkleidung anziehen und verschwinden und wir würden zusammen weglaufen, weg von seiner Mutter und den Sparks. Wir wollten später am selben Tag einen Zug zurück nach Manchester nehmen, und er sollte sich irgendwo verstecken, wo ich ihm was zu essen bringen würde, und wenn seine Mutter ohne ihn nach New York abgeflogen war, wollteer zu seinem Vater gehen und dort wohnen und sein Vater hätte gar keine andere Chance, als ja zu sagen. Dann wären wir beide weiter die Obercoolsten der 9k.
    Als Erstes rief ich Christy an, meinen großen Bruder. Christy wohnt in London und ruft dauernd an und bettelt um Geld, und Dad sagt immer, er ist doch kein Goldesel und dass Christy sich verziehen soll. Diesmal rief ich bei ihm an und sagte, wenn wir uns am Riesenrad treffen und er mir und meinem Kumpel Salim hilft, diesen Witz durchzuziehen, den wir uns überlegt haben, kriegt er von uns einen Zehner. Und er sagte ja.
    Am Sonntag drauf fuhr Salim mit seiner Mutter nach London runter. Am nächsten Tag erzählte ich meiner Mutter, dass ich den ganzen Tag über mit den Pfadfindern wegfahren würde, und sie glaubte mir und gab mir sogar etwas Geld. Außerdem hatte Salim mir noch seine Ersparnisse gegeben, also hatte ich genug, um zwei Tickets für das Londoner Riesenrad zu kaufen. Dann sprang ich in einen frühen Zug nach London und bezahlte dafür keinen Penny, weil ich diesen Trick kenne, wie man den Schaffnern aus dem Weg geht. An der Euston Station stieg ich aus und fand den Weg, der zum Fluss runterführt, und dort stand das Riesenrad. Nicht zu übersehen.
    Christy kam als Erster. Ich setzte die Perücke auf, die ich als Miranda getragen hatte, und diese geniale Sonnenbrille, die ich letztes Jahr an der Costa del Sol gekauft hab, außerdem eine Jacke, die ich von Shannon geklaut hatte, meiner älteren Schwester. Christy brüllte vor Lachen und meinte, ich wär ein verrückter Transvestit und dass Dad mir bei lebendigem Leib die Haut abziehen würde, wenn er mich so sähe. Wir kauften zwei Tickets. Ich erzählte ihm nicht, dass Salim weglaufen wollte und dass ich ihn verstecken würde. Ich sagte, dass wir Salims Cousin und seiner Cousine einen Streich spielen wollten. Inzwischen war mein Stimmbruch schon vorbei. Deswegen konnte ich unmöglich selber zu ihnen rübergehen. Sie hätten schon beim ersten Wort sofort gemerkt, dass ich kein Mädchen bin. Also brauchten wir Christy. Außerdem würde uns beim Kaufen der Tickets niemand blöde Fragen stellen, weil er schließlich erwachsen ist.
    Als wir die Karten hatten, rief ich Salim auf seinem Handy an und fragte, wo er ist. »Beeil dich«, sagte ich. »Wir steigen um halb zwölf ein.« Er meinte, er würde gerade den Fluss überqueren, und ein paar Minuten später war er da. Die beiden Mütter gingen Kaffee trinken, genau nach Plan, und Salim, seine Cousine und sein Cousin stellten sich in die Warteschlange. Christy ging zu ihnen rüber und tat so, als wäre er irgendein Fremder, obwohl er Salim früher schon einmal getroffen hatte. Er gab Salim das Ticket und zeigte ihm seinen Platz in der Schlange, und dann raste er los zur Arbeit, denn er war spät dran.
    Ich krepierte fast vor Lachen, weil ich so tun musste, als ob ich Salim nicht kenne. Auf dem Weg zur Rampe biss ich die ganze Zeit die Zähne zusammen, und Salim guckte mich noch nicht an, erst als wir in der Gondel waren. Dann schlossen sich die Türen und wir fuhren nach oben und standen beide auf derselben Seite. Es war magisch. Luft und Licht und meilenweit nur London, alles gehörte uns. Wir waren glücklich.
    Als wir den höchsten Punkt erreichten, wurde Salim still. Er blickte direkt in die Sonne.
    Â»Salim«, sagte ich. »Wo starrst du denn hin?«
    Â»Nach Manhattan«, antwortete er.
    Â»Das ist London«, erwiderte ich. »Nicht Manhattan.«
    Â»Das ist mein Schicksal, Marcus. Ich muss es akzeptieren.«
    Ich wurde traurig. Es klang, als hätte er seine Meinung geändert und sich dagegen entschieden, die Kleider zu tauschen, zu verschwinden und mit mir nach Manchester zurückzufahren, um sich dort zu verstecken. Aber als die anderen sich alle umdrehten, um sich fotografieren zu lassen, lachte er, riss mir die Perücke vom Kopf und setzte sie sich auf. Ich zog meine Jacke aus und er zog sie an. Dann

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