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Der Junge, der Träume schenkte

Der Junge, der Träume schenkte

Titel: Der Junge, der Träume schenkte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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Wort. Seine Stimme war so tief wie ein Donnergrollen und breitete sich mit dunklen Schwingungen im Raum aus. Er sprach nur kurz.
    Der Anwalt schüttelte den Kopf, schließlich brummte er: »In Ordnung.«
    Der Mann in der Tür ließ davon ab, sich mit seinen schwarzen Fingern am Ohrläppchen zu kratzen, trat ins Zimmer, sammelte die Dokumente der Einwanderungsbehörde vom Boden auf, warf einen Blick darauf und sagte mit seiner monströsen, jedoch neutral klingenden Stimme: »Cetta.«
    Da ließ der Dolmetscher Cettas Arm los und wich zurück. Der Mann nickte ihr zu und ging, ohne ein weiteres Wort an einen der beiden anderen Männer zu richten, aus dem Raum. Cetta, die ihm folgte, sah, wie er nach einem zerknitterten Sakko griff und sich hineinzwängte. Es spannte an den Schultern und über der Brust, und er versuchte erst gar nicht, es zuzuknöpfen. Das wäre ihm ohnehin nicht gelungen, dachte Cetta. Schließlich nickte der Mann ihr zu und verließ Cetta und Christmas voran die Wohnung.
    Auf der Straße stieg er in einen Wagen, in dessen Kotflügel zwei Einschusslöcher prangten. Er lehnte sich zur Seite und hielt von innen die Beifahrertür auf. Einladend klopfte er mit der Hand auf den Sitz. Cetta stieg ein, und der Mann gab Gas. Während der ganzen Fahrt sprach er kein Wort. Zehn Minuten später hielt er am Straßenrand an und stieg aus. Wieder bedeutete er Cetta, ihm zu folgen, und bahnte sich einen Weg durch einen lärmenden Pulk ungewaschener, zerlumpter Bettler. Dann stieg er ein paar Stufen in ein Kellergeschoss hinab. Von einem Flur gingen mehrere Türen ab.
    Ganz am Ende des düsteren, stinkenden Korridors blieb der Mann stehen und griff sich eine Matratze, die dort an der Wand lehnte, und öffnete eine Tür. Das Zimmer dahinter – denn mehr war es nicht – glich vielen anderen, die Cetta gut kannte: Zimmer ohne Fenster. Nah beim Kohleofen waren Wäscheleinen von Wand zu Wand gespannt, an denen zerschlissene und mehrfach gestopfte Kleider zum Trocknen hingen. Von einem Vorhang halb verborgen, entdeckte Cetta ein Doppelbett. Außerdem stand ein Sparherd im Zimmer. Der Rauchfang des Herdes leitete über zwei verrostete Ofenrohre offenbar auch den Ofenqualm nach draußen. Außerdem waren da eine alte Anrichte mit einer fehlenden Tür und einem schiefen Bein, unter die man, damit sie gerade stand, einen Holzkeil geschoben hatte, ein quadratischer Tisch mit drei Stühlen, eine Spüle und wenige Teile Blechgeschirr, die ihren Emailleüberzug eingebüßt hatten, sowie zwei Nachttöpfe, die in einer Ecke des Zimmers gestapelt waren.
    Auf den Stühlen saßen zwei alte Leute, ein Mann und eine Frau. Er war dürr, sie rundlich. Beide waren sie sehr klein. Mit sorgenvollem Blick hatten sie ihre faltigen Gesichter zur Tür gewandt. Aus ihren Augen sprach eine Angst, die so alt zu sein schien wie sie selbst. Doch als sie den Mann erkannten, lächelten sie. Der Greis entblößte dabei nacktes Zahnfleisch, und als ihm dies bewusst wurde, hielt er sich ein wenig verlegen die Hand vor den Mund. Lachend klopfte sich die alte Frau auf die Schenkel und stand auf, um den Mann zu umarmen. Der Greis schlurfte hinter den Vorhang, der das Bett halb verdeckte. Ein klirrendes Geräusch ertönte, und als er wieder auftauchte, schob er sich gerade ein gelbliches Gebiss in den Mund.
    Überschwänglich begrüßten die beiden Alten den hässlichen Mann, der unterdessen die Matratze in einer Zimmerecke abgelegt hatte. Während sie seiner Stimme lauschten, von der die Luft im Raum zu vibrieren schien, tauchte die alte Frau einen Lappen in Wasser und rieb damit die Soße vom Hemd des Mannes, der vergeblich dagegen protestierte. Und da erst richteten die beiden Alten ihre Aufmerksamkeit auf Cetta. Während sie sie neugierig beäugten, nickten sie vor sich hin.
    Bevor der Mann sich verabschiedete, holte er einen Geldschein aus seiner Tasche und gab ihn der alten Frau. Die Greisin küsste ihm die Hand. Der Alte blickte beschämt zu Boden. Als der Mann das sah, klopfte er ihm freundlich auf die Schulter und sagte etwas, was dem Greis ein Lächeln entlockte. Dann ging der Mann zu Cetta, die mit Christmas im Arm stehen geblieben war, und überreichte ihr die Einwanderungspapiere. Beim Hinausgehen schließlich deutete er auf sie und richtete noch einige Worte an die beiden Alten. Dann verließ er das Zimmer.
    Kaum waren sie unter sich, fragte die alte Frau in Cettas Sprache: »Wie heißt du?«
    »Cetta Luminita.«
    »Und das Kind?«
    »Natale, aber

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