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Der Junge, der Träume schenkte

Der Junge, der Träume schenkte

Titel: Der Junge, der Träume schenkte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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jetzt heißt er so«, antwortete Cetta und hielt der Greisin den Einwanderungsschein hin.
    Die Alte nahm den Schein und reichte ihn ihrem Mann.
    » Christmas «, las der vor.
    »Das ist ein amerikanischer Name«, erklärte Cetta mit einem stolzen Lächeln.
    Nachdenklich rieb sich die alte Frau das Kinn, bevor sie sich an ihren Mann wandte. »Klingt wie der Name eines Niggers.«
    Der Alte musterte Cetta, die keine Reaktion zeigte. »Hast du noch nie etwas von Niggern gehört?«
    Cetta schüttelte den Kopf.
    »Das sind ... schwarze Menschen«, erklärte die Alte und fuhr sich dabei mit der Hand durch das Gesicht.
    »Sind sie denn Amerikaner?«, wollte Cetta wissen.
    Die Alte sah zu ihrem Mann hinüber. Der nickte. »Ja«, erwiderte sie.
    »Also hat mein Sohn einen neuen amerikanischen Namen«, stellte Cetta zufrieden fest.
    Die alte Frau machte ein verblüfftes Gesicht, zuckte die Schultern und schaute erneut ihren Mann an.
    »Wenigstens seinen Namen musst du bald lernen«, sagte er. »Du kannst ja nicht jedes Mal den Schein vorzeigen.«
    »Nein, auf keinen Fall«, bestätigte seine Frau mit einem energischen Kopfschütteln.
    »Und du musst den Kleinen auch bei seinem neuen Namen rufen, sonst lernt er ihn doch selber nicht«, sagte der Alte wieder, und seine Frau nickte zustimmend.
    Verwirrt blickte Cetta die beiden an. »Bringen Sie ihn mir bei«, bat sie schließlich.
    »Christmas«, sagte der Alte.
    »Christ-mas«, skandierte seine Frau.
    »Christmas«, sprach Cetta ihnen nach.
    »Sehr gut, Mädchen!«, riefen die beiden Alten erfreut.
    Unschlüssig, was nun zu tun sei, standen daraufhin alle drei eine ganze Weile schweigend da. Schließlich flüsterte die Alte ihrem Mann etwas ins Ohr und ging zum Herd, schob ein wenig dünnes Brennholz in den Ofen und entfachte mit Zeitungspapier ein Feuer.
    »Sie fängt an zu kochen«, erklärte der Mann.
    Cetta lächelte. Die beiden alten Leute gefielen ihr.
    »Sal hat gesagt, er holt dich morgen früh ab«, sagte der Greis und senkte verlegen den Blick.
    Der große hässliche Mann heißt also Sal, dachte Cetta.
    »Er ist ein guter Mensch«, fuhr der Alte fort. »Lass dich nicht von seinem Äußeren täuschen. Gäbe es Sal nicht, wären wir schon längst tot.«
    »Allerdings, elendig verhungert wären wir«, führte seine Frau aus, während sie in einer cremigen dunklen Tomatensoße rührte, in der Wurststückchen schwammen. Der Geruch von gebratenem Knoblauch hatte sich im Zimmer ausgebreitet.
    »Er bezahlt unsere Wohnung«, erklärte der Alte, und Cetta glaubte, ihn erröten zu sehen.
    »Frag sie«, drängte seine Frau, ohne sich umzudrehen.
    »Hat dein Sohn einen Vater?«, erkundigte sich der Mann gehorsam.
    »Nein«, gab Cetta ohne jedes Zögern zu.
    »Ah, gut, gut ...«, nuschelte der Alte, als wollte er Zeit gewinnen.
    »Frag sie«, sagte seine Frau wieder.
    »Ja, ja, ich mach’s ja schon ...«, brummte der Greis verärgert. Mit einem verlegenen Grinsen sah er dann Cetta an. »Warst du schon in Italien eine Hure?«
    Cetta meinte zu wissen, was das Wort bedeutete. Ihre Mutter hatte es immer wieder benutzt, wenn ihr Vater am Samstagabend spät nach Hause gekommen war. Huren waren Frauen, die mit Männern ins Bett gingen. »Ja«, antwortete sie.
    Sie aßen und legten sich schlafen. Nachdem sie Christmas noch einmal die Brust gegeben hatte, streckte Cetta sich angezogen auf der Matratze aus, denn eine Decke hatte sie nicht. Sal werde sich am nächsten Tag um alles kümmern, hatten die beiden Alten ihr jedoch versichert. Auch Babynahrung wollte er besorgen.
    Ich weiß nicht einmal, wie ihr heißt, ging es Cetta mitten in der Nacht durch den Sinn, als sie dem Schnarchen der alten Leute lauschte.

7
    Manhattan, 1909–1910
    »Schwanz. Sprich mir nach.«
    »Schwanz ...«
    »Möse.«
    »Möse ...«
    »Arsch.«
    »Arsch ...«
    »Mund.«
    »Mund ...«
    Die auffällig zurechtgemachte rothaarige Frau um die fünfzig, die auf einem Samtsofa saß, wandte sich an eine Zwanzigjährige von vulgärem Aussehen, die sich mit lustloser, gelangweilter Miene leicht bekleidet in einem ebenfalls samtbezogenen Sessel fläzte und an ihrem Morgenmantel aus transparenter Spitze herumspielte. Darunter trug sie nur noch ein Satinmieder. Die Rothaarige redete schnell. Dann zeigte sie auf Cetta.
    Das leicht bekleidete Mädchen übersetzte: »Ma’am sagt, das ist dein Rüstzeug für die Arbeit. Für den Anfang brauchst du nicht viel mehr. Wiederhol noch einmal alles von vorn.«
    Cetta stand in der Mitte

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