Der Junge, der Träume schenkte
neue Hoffnung. Und so fasste sie ihren Sohn eines Tages an den Schultern und sagte: »Man muss auf die richtige Gelegenheit warten. Das Entscheidende ist, sie nicht zu verpassen. Aber jeder von uns bekommt seine Gelegenheit, vergiss das nie.«
Christmas verstand nicht recht, was seine Mutter ihm damit sagen wollte. Er hatte gelernt, zu nicken und ihre Worte einfach zu wiederholen. Auf diese Weise hatte er am schnellsten seine Ruhe und konnte sich wieder seinen kindlichen Spielen zuwenden.
Er war nicht ganz zehn Jahre alt und hatte sich eine völlig eigene Welt aus imaginären Freunden und Feinden geschaffen. Mit den anderen Kindern aus dem Haus war er nicht so gern zusammen. Sie ließen ihn an etwas denken, woran er lieber nicht erinnert werden wollte. Sie erinnerten ihn an die Schule und den Jungen, der ihm das H in die Brust geritzt hatte. H wie Hure. Und immer, wenn er mit ihnen spielte, fürchtete er, einer von ihnen könnte eine Anspielung auf Cetta und ihren Beruf machen. Zudem hatten all die anderen Kinder einen Vater.
Eines Tages spielte Christmas allein im Treppenhaus, als er Sal mit lauten Schritten aus dem Büro kommen hörte. Die Holzpistole in der Hand, drückte Christmas sich in eine dunkle Ecke. Im dem Moment, als Sal dicht an ihm vorbeiging, sprang Christmas aus seinem Versteck, richtete die Waffe auf ihn und schrie: »Peng!«
Sal verzog keine Miene. »Tu das nie wieder«, sagte er nur mit seiner tiefen Stimme und stieg dann weiter die Treppe hinunter.
Christmas lachte, bis Sals Auto draußen auf der Straße davonfuhr.
In der Woche darauf hörte Christmas abermals Sals Schritte auf der Treppe. Er versteckte sich und sprang dann urplötzlich mit der Pistole in der Hand hervor. »Peng! Ich hab dich reingelegt, du Bastard!«
Völlig ungerührt verpasste Sal ihm eine so heftige Ohrfeige, dass Christmas hintüberflog. »Ich hatte dich gewarnt, du solltest das nie wieder tun. Ich wiederhole mich nicht gern.« Damit verschwand er in seinem Büro.
Mit geröteter Wange kehrte Christmas in die Wohnung zurück.
»Wer war das?«, fragte Cetta ihn.
Christmas gab keine Antwort; freudestrahlend ließ er sich auf das Sofa fallen.
»Wer war das?«
Mein Vater, dachte Christmas lächelnd, antwortete jedoch noch immer nicht.
Cetta zog ihren Mantel an. »Ich muss noch einige Besorgungen machen. Es wird nicht lange dauern.«
Kaum hatte sie die Tür hinter sich geschlossen, stand Christmas grinsend vom Sofa auf, lief in das Schlafzimmer seiner Mutter und lauschte an der Wand zu Sals Büro.
Cetta, die nichts davon ahnte, schlüpfte in Sals kleine Wohnung, umarmte ihn und legte sich aufs Bett. Sal schob ihren Rock hoch, zog ihr das Höschen aus und kniete vor ihr nieder. Dann spreizte er ihre Beine und versenkte seinen Kopf in ihrer Mitte. Und Cetta gab sich Sals Liebkosungen hin und genoss die Lust, die sie erfüllte.
Von beiden unbemerkt, klebte Christmas noch immer mit dem Ohr an der Wand und kicherte. So wie alle kleinen Jungen kichern, wenn sie die Geräusche der Liebe hören.
»Der Boss hat gesagt, zum Aufhören ist es noch zu früh«, sagte Sal Wochen später düster.
Cetta schnaubte. »Wie lange muss ich das denn noch machen?«
Sal erhob sich vom Bordellsofa. »Ich muss gehen«, sagte er.
»Wie lange noch?«, begehrte Cetta auf.
»Ich weiß es nicht!«, brüllte er zurück.
Da nahm Cetta in den Augen ihres Freundes etwas wahr, das sie zuvor nie gesehen hatte: Kummer. Sal bekümmerte es, dass sie als Hure arbeitete. »Na ja, vielleicht nächstes Jahr«, sagte sie deshalb betont gleichgültig und ergriff seine Hand.
Sal blickte schweigend zu Boden.
»Schläfst du heute Nacht im Büro?«
»Kann sein ...«, antwortete er. »Ich muss mich um ein paar Rechnungen kümmern.«
Seit einigen Monaten bereits fand Sal Abend für Abend irgendeine Ausrede, um nicht zurück nach Bensonhurst zu fahren. Und Cetta schlief bis zum Morgengrauen in seinen Armen. Dann stand sie auf und schlich auf Zehenspitzen, damit sie Christmas nicht weckte, in ihr Schlafzimmer hinüber.
»Ich bin glücklich«, sagte Cetta unvermittelt.
»Wir werden sehen, ich kann dir nichts versprechen.«
»Ich weiß, Sal.«
»Jetzt muss ich gehen, Kleines.«
Cetta lächelte. Sie mochte es, wenn Sal sie »Kleines« nannte, obwohl sie nun eine Frau von fast fünfundzwanzig Jahren war.
»Sag das noch einmal.«
»Was?«
»Kleines ...«
Sal ließ Cettas Hand los. »Ich habe keine Zeit zu verlieren. Es geht gerade alles drunter und drüber
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