Der Junge, der Träume schenkte
die kräftige Hand. Sie zog sie an die Lippen und küsste sie. Mit festem Druck führte sie sie dann an ihrem Gesicht entlang. »Warum nicht?«
»Das bringt Unglück.«
Cetta stupste ihn gegen die Brust.
»Außerdem bastele ich gern an Motoren herum«, fügte Sal da hinzu. »Es ist sinnlos, sie sauberzumachen, sie werden ohnehin sofort wieder schmutzig.«
Cetta lächelte und schlang die Arme um seine breite Brust. »Warum nicht, Sal?«, fragte sie noch einmal.
Sal seufzte. Er griff nach der halben Zigarre auf dem Nachttisch und steckte sie sich, ohne sie anzuzünden, in den Mund. »Als ich ungefähr in deinem Alter war, haben sie mich mal geschnappt«, begann er zögerlich zu erzählen. »Ein missglückter Überfall. Ich war kein guter Räuber ...« Er lachte leise.
Cetta spürte, wie die dumpfen Töne in Sals Brust vibrierten und ihr Ohr kitzelten. Sal lacht sonst nie, dachte sie.
»Ich kam ins Gefängnis«, fuhr er fort. »Sie fuhren mir mit einer Tintenwalze über die Finger und nahmen meine Abdrücke. Und dabei lachten sie. Sie lachten über meine schmutzigen Hände. Und im Besuchsraum sah meine Mutter mich dann mit diesen schwarzen Händen und brach in Tränen aus. Am Abend scheuerte ich meine Finger an der Zellenwand, aber sie wollten nicht sauber werden. Die Tinte war tief in die Haut einzogen.«
Cetta streichelte noch immer seine Hand. Sie küsste sie und führte sie unter ihre linke Brust, dorthin, wo ihr Herz schlug.
»Den Umgang mit Motoren habe ich im Gefängnis gelernt«, erzählte Sal grinsend. »Autos waren mir damals völlig egal. Aber eines Tages sah ich im Hof einen Kerl mit abstoßend schwarzen Händen. Er arbeitete als Mechaniker. Da habe auch ich mich für die Werkstatt einteilen lassen. Und jede Nacht, wenn ich mich auf meiner Pritsche schlafen legte, schaute ich mir meine Hände an und dachte, dass man sie mir nicht noch schmutziger machen konnte, falls ich noch einmal geschnappt werden sollte.« Sal schwieg kurz, hob eine Hand an und betrachtete sie. »Seitdem meine Hände so aussehen, haben sie mich nie mehr geschnappt«, fügte er lachend hinzu. »Deshalb glaube ich, es bringt Unglück, wenn ich sie mir wasche.«
Auf einen Ellenbogen gestützt, näherte Cetta sich Sals Gesicht, nahm ihm die Zigarre aus dem Mund und küsste ihn.
»Pass auf, dass du nicht zur Klette wirst, Mädchen«, sagte Sal.
Cetta lachte, schob die Zigarre zwischen seine Lippen und schmiegte sich wieder an seine Brust.
»Wann bringen sie dir die rotznasige Nervensäge zurück?«, fragte Sal.
In dem Moment klopfte es an der Tür.
»Jetzt.« Cetta grinste verlegen und erhob sich vom Bett. Sie schlüpfte in ihren Morgenrock und ging zur Tür. Die Türklinke in der Hand, drehte sie sich noch mal zu Sal um, der sich in aller Ruhe anzog. »Tut mir leid«, sagte sie.
Ohne sie anzusehen, zuckte Sal mit den Schultern und zündete sich die Zigarre an.
Beschämt senkte Cetta den Blick. »Tut mir leid.«
»Okay, das sagtest du schon«, knurrte Sal und zog seine Hose hoch.
Es klopfte erneut. Cetta öffnete die Tür. Auf dem Flur stand eine dicke Frau, die Christmas auf dem Arm trug. An ihrem Rock hingen zwei weitere kleine Kinder im Alter von vier und fünf Jahren, die genauso dick waren wie sie.
»Vielen Dank, Signora Sciacca«, sagte Cetta und nahm ihr Christmas ab.
Die Frau versuchte, einen Blick ins Zimmer zu erhaschen. »Der Junge macht mir eine Menge Arbeit«, seufzte sie. »Und Sie haben sehr ungünstige Arbeitszeiten ...«
Cetta sah sie schweigend an. Seit Tonia und Vito gestorben waren, gab sie Christmas in die Obhut von Signora Sciacca, die im zweiten Stock in einer Wohnung mit Fenster wohnte, gemeinsam mit ihrem Mann und vier Kindern. Cetta gab ihr einen Dollar in der Woche dafür, dass sie Christmas beaufsichtigte. »Können Sie ihn nicht mehr nehmen?«
»Nicht, dass ich nicht mehr kann, aber Ihre Zeiten ...«
»Die Arbeitszeiten lassen sich nicht ändern«, fiel Sal, der in Hose und Unterhemd in der Tür erschien, der Signora ins Wort. Daraufhin griff er in seine Tasche und zückte ein Bündel Geldscheine. Er zog einen Fünfer heraus und hielt ihn der Frau hin. »Nehmen Sie das hier«, sagte Sal und musterte sie mit strengem Blick. »Und grüßen Sie mir Ihren Mann herzlich. Er ist ein tüchtiger Kerl.«
Signora Sciacca wurde blass, nahm das Geld und nickte langsam.
»Passen Sie gut auf die Rotznase auf«, fügte Sal noch hinzu. »Sie wissen ja, wie Kinder in dem Alter sind, sie tun sich schnell
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