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Der Junge, der Träume schenkte

Der Junge, der Träume schenkte

Titel: Der Junge, der Träume schenkte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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wurde die Tür wieder geöffnet, Christmas’ Hand packte ihn am Arm und zerrte ihn hinein. Schließlich wurde die Tür ein drittes Mal aufgerissen, und Christmas erschien auf dem Flur. »Verschwindet!«, rief er den Neugierigen zu.
    Ein Murren ging durch die kleine Menge, bevor alle aufgeregt plappernd die Treppe hinabstiegen und sich im Viertel verstreuten, um die Neuigkeit zu verbreiten.
    »Habt ihr hier elektrischen Strom?«, erkundigte sich Fred, während er sich in der Küche, die zugleich Christmas’ Schlafzimmer war, beklommen umschaute.
    »Klar haben wir Strom, für wen hältst du uns?«, entgegnete Christmas, die Hände in die Hüften gestemmt, großspurig.
    »Junge, sei um Himmels willen leise!«, schimpfte Cetta aus dem Schlafzimmer.
    »Meine Mutter«, erklärte Christmas und deutete mit dem Kopf auf die Tür. »Sie arbeitet in einem Nachtclub.«
    Fred sah ihn unbeirrt an. »Soll ich Ihnen Zeit zum Anziehen geben, Mr. Luminita?«
    »Wie?« Verlegen blickte Christmas an sich herunter auf seine lange Unterhose.
    Santo lachte.
    »Christmas!«, brüllte Cetta wieder.
    »Ja, ist wohl besser ...«, flüsterte Christmas und zog den Kopf ein wie alle kleinen Jungen, wenn sie ausgeschimpft werden. »Santo, geh mit ihm in den Salon.« Hastig zog er sich an, tauchte zwei Finger in eine Schüssel mit eiskaltem Wasser, erschauerte und ging zu den beiden Wartenden in das kleine Zimmer, das Cetta hochtrabend als Salon bezeichnete. »Wir haben auch ein Fenster«, betonte Christmas stolz und zeigte auf das Glanzstück der Wohnung.
    »Das sehe ich«, entgegnete Fred.
    »Also gut, kommen wir zum Geschäft. Was willst du, Fred?«
    »Darf ich Namen nennen?«
    »Zur Sicherheit besser nicht.«
    »So kann ich nicht zwitschern, wenn sie mich ausquetschen«, erklärte Santo mit prahlerischem Stolz und steckte die Hände in die Hosentaschen.
    »Verstehe«, gab Fred mit unverändertem Gleichmut zurück und nickte ernst. »Nun denn, Sie wissen schon wer lässt Ihnen ein Geschenk überbringen, Mr. Luminita«, sagte er daraufhin und hielt Christmas das Paket hin.
    »Der Alte?«
    »Ja ... der Alte«, bestätigte Fred, doch sein Ton verriet, dass ihm die Bezeichnung nicht gefiel.
    Christmas öffnete das Paket. Zum Vorschein kam ein Radio, aus dem sechs Röhren hervorragten. Mit einem trichterförmigen Lautsprecher aus glänzendem schwarzem Bakelit. Ein am Radio seitlich mit zwei Schrauben befestigtes Metallschildchen verkündete in grauen Buchstaben: Radiola , und gleich darunter: Long Distance Radio Concert Amplifier – Model AA 485 , und noch weiter unten: RCA – Radio Corporation of America .
    »Wahnsinn!«, entfuhr es Christmas.
    »Das ist ein Radio!«, rief Santo.
    »Das weiß ich auch«, entgegnete Christmas. Aufs Geratewohl spielte er an den Knöpfen herum. »Funktioniert es auch?«, fragte er Fred.
    »Das sollte es«, antwortete der Chauffeur. »Erlauben Sie?« Suchend blickte er sich um, fand die Steckdose und steckte den Stecker hinein. Dann drehte er an einem Knopf. Die beiden Jungen lauschten gespannt, während es aus dem Radio dumpf rauschte. »Die Röhren müssen sich erst aufheizen«, erklärte Fred.
    »Es hat sogar Röhren«, staunte Christmas.
    Santo schaute verblüfft drein.
    Kurz darauf ließ das Rauschen nach, und eine krächzende Stimme ertönte.
    »Seit Februar hat auch Präsident Harding ein Radio im Weißen Haus«, erzählte Fred. »Mit diesem Knopf stellt man den Sender ein.« Er wählte ein Musikprogramm aus.
    Christmas und Santo starrten das Radio mit offenem Mund an.
    »Der andere Knopf ist für die Lautstärke«, erklärte Fred weiter. »Aber im Moment sollten wir es wohl leise stellen. Wegen Ihrer Mutter, meine ich ...«
    Da fuhr Christmas zu der Tür herum, hinter der Cetta schlief. Er rannte hin und steckte, ohne anzuklopfen, den Kopf in den fensterlosen Raum. »Mama! Mama! Komm mal!« Noch aufgeregter als zuvor kehrte er in den Salon zurück. »Mama!«, rief er erneut. »Stell es lauter, so laut es geht«, sagte er zu Fred.
    »Das halte ich für keine gute Idee ...«
    »Ach, Blödsinn!« Christmas stürzte sich auf das Radio und drehte genau in dem Moment die Lautstärke voll auf, als Cetta – eingedenk des Morgens, an dem sie wegen des vergewaltigten Mädchens geweckt worden war – mit sorgenvoller Miene im Salon erschien. »Sieh mal, Mama, ein Radio!«, überschrie Christmas die Musik.
    Cettas Gesichtsausdruck schlug um in Verwirrung. Als sie den uniformierten Chauffeur bemerkte, hüllte sie sich

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