Der Junge, der Träume schenkte
weh. Und das würde mich ärgern.«
Signora Sciacca, die immer blasser wurde, versuchte zu lächeln. »Machen Sie sich keine Sorgen, Mr. Tropea«, sagte sie. »Wir alle vergöttern Christmas.« Sie wandte sich an ihre Söhne. »Nicht wahr, Kinder, ihr habt Christmas doch lieb?«
Als sie angesprochen wurden, flüchteten sich die beiden Kinder hinter das breite Hinterteil der Mutter.
Grußlos schloss Sal die Tür, griff nach seinem kurzärmeligen weißen Hemd, das er über einen Stuhl gehängt hatte, und streifte es über. Er zog die Hosenträger hoch und schnallte das Pistolenholster um.
Cetta drückte Christmas an sich, der glücklich strahlte, und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Doch ihr Blick lag auf Sal, der so groß und hässlich war. Und sie dachte daran zurück, wie sie ihn kurz nach ihrer Ankunft in Amerika zum ersten Mal gesehen hatte, in der Tür des Anwalts, der sie aus Ellis Island herausgeholt hatte und ihr den Jungen hatte wegnehmen wollen. »Du wurdest beschützt«, wisperte sie Christmas ins Ohr und spürte, wie die Rührung sie beinahe übermannte.
»Hat der Hosenscheißer heute Geburtstag?«, fragte Sal in dem Moment und schleuderte dabei eine Stoffpuppe auf den Tisch, die ein Yankee-Trikot mit der Rückennummer drei und einen kleinen Holzschläger in der Hand trug.
Da versetzte es Cetta einen heftigen Schlag in die Magengrube. Einen Augenblick lang fürchtete sie, Christmas fallen zu lassen. Sie biss die Zähne zusammen und verzog schmerzlich das Gesicht. Unvermittelt wurde sie daraufhin von einem heftigen Schluchzen geschüttelt. Christmas legte seine Händchen an ihre tränennassen Wangen. Als er die Finger in den Mund steckte und das Salz schmeckte, begann er zu weinen.
Kopfschüttelnd betrachtete Sal die beiden, bevor er sich fertig anzog.
Cetta hatte währenddessen nach der Puppe gegriffen und ließ sie, noch immer weinend, vor Christmas’ geröteten Augen tanzen. Sie legte sie aufs Bett und zeichnete mit dem Finger die Nummer auf dem Trikot nach. »Drei, siehst du?«, sagte sie. »Genauso alt bist du ...«
»Ihr seid echte Heulsusen«, bemerkte Sal und öffnete die Wohnungstür.
Cetta sah ihn tränenüberströmt an und brach dann unvermittelt in Gelächter aus, während Christmas die Puppe auf das Bett schlug.
»Komm nicht auf dumme Gedanken«, mahnte Sal. »Da ist nichts zwischen uns beiden.«
»Ich weiß, Sal«, sagte Cetta lachend, doch die Tür hatte sich bereits hinter ihm geschlossen.
16
Manhattan – New Jersey, 1922
Als am frühen Morgen der luxuriöse graue Rolls-Royce Silver Ghost ein weiteres Mal in der Monroe Street vor dem Haus Nummer 320 anhielt, war allen klar, dass Christmas Luminita trotz seines jugendlichen Alters tatsächlich eine große Nummer geworden war.
Der neugierige Pulk begleitete den Chauffeur durch das Treppenhaus nach oben. Unterwegs fragte einer, ob der Wagen Rothstein gehöre, ein anderer wollte wissen, was sich denn in dem großen Paket verberge, das er bei sich hatte, und noch ein anderer versuchte, den an Christmas adressierten Brief, der aus der Tasche des Chauffeurs ragte, zu erhaschen. Der Fahrer jedoch schwieg zu all den Fragen professionell und verzog keine Miene. Er stellte das Paket vor der Wohnung von Cetta und Christmas Luminita ab und klopfte dezent an. Nach einigen Sekunden versuchte er es nochmals. Nichts regte sich hinter der Tür.
»Christmas! Christmas!«, brüllte da Santo, der hervortrat und vor lauter Begeisterung rücksichtslos gegen die Tür hämmerte. »Mach auf, Christmas!«
»Was zum Teufel ist in dich gefahren, Santo?« Das helle Haar vom Schlaf zerzaust, stand Christmas, nur mit Unterwäsche bekleidet, im Türrahmen.
»Christmas, mach nicht so einen Lärm!«, hörte man es aus der Wohnung schimpfen, kurz darauf knallte eine Tür.
Überrascht starrte Christmas auf den Chauffeur, der das Paket wieder hochgenommen hatte.
»Ich bin es, Fred, Mr. Luminita«, sagte der Chauffeur.
»Ja, ja ...«, stammelte Christmas, noch immer benommen. »Hallo, Fred.«
»Mich schickt Mister ...«, hob der Chauffeur an.
»Okay, okay«, schnitt Christmas ihm das Wort ab. »Lass uns keine Namen nennen. Das ist nicht nötig. Wir wissen beide, wer dich schickt. Komm rein, hier sind zu viele Ohren.« Und damit zog er den Mann in die Wohnung und schloss sofort die Tür.
Santo, der einen Schritt vorgetreten war, um mit hineinzugehen, stieß beinahe mit der Nase gegen die Türfüllung. Vor Scham lief er rot an. Einen Augenblick später
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