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Der Junge, der Träume schenkte

Der Junge, der Träume schenkte

Titel: Der Junge, der Träume schenkte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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dann zum Juden?«
    Saul Isaacson lachte.
    »Das ist eine Frage der Abstammung«, warf Philip Isaacson in hochmütigem Tonfall ein. »Wir schützen unser Blut, es hebt uns von den anderen ab.«
    »Wenn wir schon dabei sind, da gäbe es noch eine weitere Besonderheit«, warf der Alte schmunzelnd ein.
    Die Worte brachten Christmas kurz ins Grübeln, doch dann erhellte sich seine Miene. »Ach, dann stimmt es also!«, rief er überrascht. »Ich dachte, es wäre nur irgend so ein Blödsinn, den man sich im Viertel erzählt.« Ungläubig schüttelte er den Kopf. Dann sah er den Alten an. »Wenn man wissen will, ob einer Jude ist, muss man also wirklich nur gucken, wie seine ...« Er unterbrach sich, weil er begriff, dass er seinen Gedanken nicht laut aussprechen konnte. Er sah zu Ruth hinüber und lief rot an.
    »Wie seine Nase aussieht«, sagte der Alte, der Christmas’ Verlegenheit bemerkt hatte. »Man muss gucken, wie seine Nase aussieht.«
    Ruths Mutter hustete. Philip Isaacson zog leicht die Augenbraue hoch und aß weiter.
    Nach kurzem Stillschweigen schlug hingegen der Alte mit der Hand auf den Tisch und brach in schallendes Gelächter aus. »Was willst du denn einmal werden, Junge?«, fragte er nach einer ganzen Weile und führte eine Gabel voll Kuchen mit Sahne und kandierten Kirschen zum Mund. »Hast du eine Arbeit?«
    »Ich hatte schon viele Jobs, Sir, aber keinen, der mir gefallen hätte«, entgegnete Christmas, nachdem er, um dem Rat seiner Mutter zu folgen und nicht mit vollem Mund zu sprechen, hastig eine Kirsche hinuntergeschluckt hatte. »Ich habe Zeitungen verkauft, Dächer geteert, Schnee geschaufelt, Waren für ein Feinkostgeschäft ausgeliefert, aber jetzt habe ich ... habe ich ...« Christmas hatte ihnen gerade von seiner Gang erzählen wollte, doch nun wurde ihm schlagartig klar, dass so etwas nicht zu den Tätigkeiten gehörte, mit denen man bei einer reichen jüdischen Familie Eindruck schindete. Mit offenem Mund saß er da und wusste nicht, wie er fortfahren sollte, fürchtete aber zugleich, schon zu weit gegangen zu sein, um noch schweigen zu können.
    »Du hast was?«, hakte der Alte nach.
    Christmas blickte hinüber zu Ruth. Seine Gedanken schweiften ab. Sie war überirdisch schön. »Ich habe ...«, stotterte er, »jetzt habe ich ein Radio.« Dabei lächelte er sie an.
    »Das klingt mir nicht nach einer Arbeit«, erwiderte der Alte und lachte.
    »Nein, Sir«, gab Christmas zu, ohne den Blick von Ruth lösen zu können. »Aber ich werde einmal meine eigene Radiosendung haben«, fuhr er an sie gerichtet fort. »Eine dieser Sendungen, in denen gesprochen wird ...«
    Ruth sah ihn an. Sie sah den Jungen an, der ihr neun Blumen geschenkt hatte, der die Mathematik für sie neu erfunden hätte, und sie hasste ihn von ganzem Herzen, weil sie die Augen nicht von ihm abwenden konnte, weil es ihr einfach nicht gelingen wollte, ihn nicht anzusehen.
    »Dann kann Ruth mir zuhören«, schloss Christmas.
    Der alte Saul Isaacson ließ den Blick von Christmas zu seiner Enkelin und wieder zurück zu Christmas schweifen. Schade, dass du kein Jude bist, dachte er und blickte instinktiv auf seinen Sohn, dem das Geld eine aristokratische Gesetztheit verliehen hatte, der verweichlicht und schwach wirkte. »Willst du eine Zigarre rauchen, Junge?«, fragte er.
    Mit großen Augen wandte sich Christmas um. »Oh, nein, bei allem Respekt, die finde ich ziemlich widerlich.«
    Der Alte lachte und stand auf. »Nun, aber ich werde mir eine feine Zigarre anstecken. Wenn ihr mich bitte entschuldigen wollt ...« Damit ging er ins Nebenzimmer des Speisesaals, wo der Butler bereits alles Nötige auf einem kleinen Rauchertisch bereitgelegt hatte.
    Auch Ruths Eltern erhoben sich. Die Mutter schützte starkes Kopfweh, der Vater eine dienstliche Verpflichtung vor. Mit einem förmlichen Händedruck verabschiedeten sie sich von ihrem Gast und zogen sich zurück.
    Ruth und Christmas blieben am Tisch sitzen. Erneut schwiegen sie sich an. Beide blickten hinab auf die Sahnereste auf ihren Tellern.
    Ruth spielte mit den Brotkrumen auf der Tischdecke.
    Christmas betrachtete ihre verbundene Hand. Und die veilchenblauen Blutergüsse zu beiden Seiten ihrer Nase. »Damals«, hob er schließlich leise an und errötete bei der Erinnerung, »vor vielen Jahren, als ich noch klein war ... lebten wir woanders, meine Mutter und ich. Und ich ging zur Schule. Ich war gerade in die vierte Klasse gekommen ...« Die Worte kamen ihm nur mit Mühe über die

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