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Der Junge, der Träume schenkte

Der Junge, der Träume schenkte

Titel: Der Junge, der Träume schenkte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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blickte auf seine Schuhe hinunter. »Kennst du denn die Monroe Street?«, fragte er schließlich.
    »Nein ...«
    Christmas lachte. »Da hast du nichts verpasst.«
    Ruth lauschte dem Lachen in ihren Ohren nach. Und sie musste an Bills Lachen denken, das sie fröhlich gestimmt hatte, das sie dazu bewegt hatte, ihrem großen, freudlosen Zuhause zu entfliehen. Das Lachen, hinter dem sich das Grauen verborgen hatte. Sie sah Christmas an, der wieder ernst geworden war. »Danke ...«, sagte sie.
    Christmas zuckte mit den Schultern. »Da, wo ich herkomme, gibt es leider keine teuren Blumenläden«, entgegnete er.
    »Ich meinte nicht die Blumen.«
    »Ach so ...« Schweigen. »Nun ja, also ...« Schweigen. »Tja, bitte.«
    Ruth lachte. Leise jedoch, kaum hörbar. »Und das Radio gefällt dir wirklich?«
    »Machst du Witze? Es ist fantastisch!«
    »Was für Sendungen hörst du denn?«
    »Was für Sendungen? Ich ... ich weiß nicht ... Ich hatte ja noch nie ein Radio.«
    »Ich mag die Sendungen, in denen gesprochen wird.«
    »Echt? Und worüber wird gesprochen?«
    »Über alles Mögliche.«
    »Ah, ja ... klar.«
    Erneut entstand ein Schweigen zwischen ihnen. Aber es war plötzlich anders.
    »Miss Ruth! Das Essen ist fertig!«
    Christmas drehte sich um. Er bemerkte ein junges Dienstmädchen in einem schwarzen Kittelkleid mit weißen Manschetten, weißem Kragen und einer weißen Haube auf dem Kopf.
    »Sie sieht aus wie ein Huhn in Trauerkleidern.«
    Ruth lachte. »Ich komme«, rief sie zurück, stand auf und griff nach ihrem aus neun Blumen gebundenen Strauß.
    Christmas folgte ihr, die Hände in den Taschen vergraben. Als sie auf den Vorplatz der Villa kamen, sah er Fred den Silver Ghost polieren. Er stieß einen Pfiff aus. »Hey, Fred, ich geh jetzt essen«, rief er ihm zu.
    Ruth grinste.
    »Hervorragend, Mr. Luminita«, gab der Chauffeur zurück.
    Ein Butler in schnurbesetzter Livree erwartete Ruth und Christmas am Eingang. »Die Herrschaften sind bereits alle im Speisesaal, Miss«, sagte er mit einer leichten Verbeugung.
    Ruth nickte.
    Der Butler wandte sich an Christmas. »Möchte der Herr sich die Hände waschen?«
    »Nein, Admiral«, gab Christmas zurück.
    Ruth lachte. Der Butler verzog keine Miene und führte die beiden Kinder hinein. Ruth drückte dem Mann den Blumenstrauß in die Hand und flüsterte ihm zu: »In mein Zimmer.«
    Mit offenem Mund staunend, ging Christmas durch das Haus und wusste nicht, wohin er zuerst schauen sollte. Bald zog ein Gemälde seine Aufmerksamkeit auf sich, bald ein Teppich, bald die schimmernden Marmorböden, bald die mit Intarsien verzierten Türen, bald ein siebenarmiger Silberleuchter. »Donnerwetter ...«, flüsterte er dem Butler zu, als der ihm die Tür zum Speisesaal zeigte.
    Christmas gab Ruths Vater, den er bereits kannte, die Hand, dann ihrer Mutter, einer attraktiven, eleganten Dame, die auf ihn wirkte wie eine ausgeknipste Lampe. Der alte Isaacson saß am Kopfende des Tisches, an dessen Kante griffbereit sein treuer Begleiter, der Gehstock, lehnte.
    Während alle Platz nahmen, kam ein Diener mit einem großen Silbertablett herein, unter dessen Deckel sich wohl das Essen verbarg, wie Christmas vermutete.
    »Warte«, befahl der alte Isaacson dem Diener und fuhr verärgert hoch, kurz davor, seinen Stock zu schwingen. »Sarah, Philip, wollt ihr euch bei dem Jungen, der Ruth das Leben gerettet hat, nicht wenigstens bedanken?« Er warf seinem Sohn und seiner Schwiegertochter einen strengen Blick zu.
    Die Eheleute Isaacson erstarrten auf ihren Stühlen.
    »Aber natürlich«, sagte schließlich Ruths Mutter mit einem höflichen Lächeln in Christmas’ Richtung. »Wir wollten ihm bloß die Zeit geben, sich zu setzen. Wir haben noch das ganze Mittagessen, um uns bei ihm zu bedanken. Wie auch immer, du sollst wissen, dass wir dir von ganzem Herzen dankbar sind, Junge.«
    »Nicht der Rede wert, Ma’am«, erwiderte Christmas und sah hinüber zu Ruth, die ihn beobachtete, jedoch den Blick niederschlug, kaum dass sie in die tiefgründigen, schwarzen Augen ihres Lebensretters sah.
    »Ja, vielen Dank«, setzte Ruths Vater schwach hinzu.
    »Verdammt noch mal, hier geht es ja zu wie auf einer Beerdigung, dabei sollte das doch ein Fest sein!«, rief der Alte aus.
    »Du kannst jetzt auftragen, Nate«, wies Sarah Isaacson den Diener an.
    »Ich dachte, reiche Leute benutzen keine Schimpfwörter«, merkte Christmas an.
    »Reiche Leute tun und lassen, was ihnen gefällt, Junge.« Saul Isaacson lachte

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