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Der junge Goedeschal - Roman

Der junge Goedeschal - Roman

Titel: Der junge Goedeschal - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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Frühstückstisch saß nur Kurt. Kai fragte leichthin: »Wo ist denn die alte Dame?«
    »Was hast du nur wieder angestellt, Kai! Sie weinte!«
    »So ein Quartaner! Willst auch gleich weinen, ja? – Donnerwetter! Donnerwetter! Schon drei Viertel auf acht! Es wird Zeit, dass ich losgehe.«
    Auf der Treppe besann er sich. »Was denn noch? Ja so! ›Jettchen Gebert‹! Ilse ist ja auch noch da! Ilse …«

13
    Kai sah Ilse nicht auf seinem Schulweg. Er musste eilen, um wieder einmal zur rechten Zeit das Gymnasium zu erreichen; über die Treppen hastend, empfand er trüb die fleckige Grauheit der Atmosphäre um sich, die aus Öl und Staub zusammengetrocknete speckige Kruste des Linoleums wollte seinen Schritt hemmen, die ungefügen, plumpen Säulen, deren monotone Bäuche vom Berühren zahlloser Hände schwärzlich beschattet waren, erinnerten ihn an die stumpfe Klebrigkeit seiner Finger, deren fehlende Frische die Länge des vor ihm liegenden Tages ins Unermessbare ausdehnte. Es schien, als zerrisse in ihm die überspannte Stimmung zu einem flockigen Schleier, der den kleinen Staubballen glich, die man beim Reinmachen in den dunklen Ecken der Schränke findet. Die langen Reihen von Kleiderhaken, an rohe Fichtenbretter geheftet, sagten ihm von neuem, dass er nur einer von vielen sei, die Türen, deren Füllungen, von Trockenheit geborsten und verschoben, gelbe Risse zeigten, waren Barrikaden, so viele schon unter Leiden überklettert, die schlimmsten noch vor ihm liegend.
    In dem von Johlen und Schreien strudelnden Klassenzimmerschoss Wellhöhner auf ihn zu und forderte das lateinische Skriptum. Vergessen, natürlich vergessen. »Habe ich Zeit gehabt, daran zu denken? Auch Arne sagte gestern nichts, auch Klotzsch nicht.«
    »Hast du das Skriptum, Klotzsch?«
    »Natürlich! Du nicht? Auweh!«
    Kai schob die Bücher unter seine Bank. Von Lärm umrissen, senkte er den Kopf in seine Handflächen und ließ die Augen über die abgeschliffene Glätte des Pultdeckels gleiten, der von Tinte befleckt die sinnlosen Stricheleien endloser Stunden vorwies. »So viel Entmutigung!«
    »Agoraphobie!«, schrie Wellhöhner und stürzte klatschend einen Stoß Hefte auf das Pult des Ordinarius. »Ich sage euch Agoraphobie!« Er schwieg, dann rascher, indem er einen sichernden Blick zur offenen Tür warf: »Ich klapperte mit den Schlittschuhen, Scheide riss sich los, schrie: ›Spion!‹ und raste die Straße hinauf. Ich hintennach.«
    »Was soll ich tun mit dem Skriptum?«, sann Kai, »ich werde sagen, ich war krank. Aber vielleicht war ein Pauker auf dem Ball?«
    Wellhöhner strich mit der Hand über sein Kinn. »Seine Frau sagte mir, es sei Wahnsinn, dass ich mit klappernden Schlittschuhen Scheide nach Haus brächte. Ich wüsste, er litte an Agoraphobie. Ich als Primus! Und so weiter. – Nonsens!«
    »Was ist Agoraphobie? Muss doch was dran sein«, fragte Thümmel.
    »Rindvieh«, schrie Lohmann, »Agora – der Markt, der Platz; Phobos – die Furcht. Platzangst, Verfolgungswahn! Das wussten wir lange.«
    »Darum holt ihn die Frau!«
    »Oder Wellhöhner muss ihn abliefern.«
    »Keinen Schritt geht er allein!«
    »Ist er schon je vom Pult heruntergegangen?!«
    »Vielleicht ist er heute krank davon –?«
    Die Klasse schwieg, sah sich an, grinste. Kai grübelte: »Scheide krank? Das wäre Rettung für mich. Nein, ich will nicht hoffen.«
    Am Arm vom Kollegen Bäcker kam Scheide den Gang herauf. Geschwindschritt. An der Tür stehen bleibend, sprach er hastig, überlaut; plötzlich, mitten im Satz, riss er sich los, sprang aufs Pult, deckte den Rücken mit der Schultafel. Bäcker schloss die Tür, und der Unterricht begann, überstürzt rief Oberlehrer Scheide zwei, drei Schüler auf, überhörte die Antworten; dann, ruhiger geworden, ließ er in voriger Stunde Besprochenes sich wiederholen. Seine weißen, zu schmalen Finger fuhren rastlos durch den roten Vollbart. Die blauen Augen durchflogen scharf die verstummte Klasse.
    Sorgfältig den Rücken deckend, warf er den wundervoll geformten Schädel zurück, dass die schon gelichteten Haarsträhnen im Zuge flogen.
    Kai, zusammengesunken, fragte: »Warum darf ich nicht hoffen? Was wird werden?«
    Da, mitten im Fragen, setzte Scheide aus. »Primus«, krähte er laut und bohrte den Zeigefinger begeistert in die Luft. »Gehen Sie sofort ins Konferenzzimmer. Lassen Sie sich die Hefte der Klasse ausliefern. Ich werde die ›Philologische Facharbeit‹ zurückgeben. Sie sollen Ihr Wunder erleben.

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