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Der junge Goedeschal - Roman

Der junge Goedeschal - Roman

Titel: Der junge Goedeschal - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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und der Schrei ging; aufgeschluckt und leergefressen ließen sie ihn, mit eingefallenem Bauch, dessen Nabel bebendes Gefältel umzog, während ein Schweiß aufging und die letzte Bindung der Glieder lockerte, löste.
    Und nun, indem sie sich alle beugten, schlugen sie seine Augen zu, sie stürzten ein, kantig erfüllten sie Brust, drängten die Lunge, verletzten das Körnige des Hirns und blähten gedunsen den Schlingschlang der Därme. Sich öffnend, entließen sie ihren Fächern und Höhlungen Käfer, kleines, vielfüßiges Gekrabbel, Denkgetier, fremdes, und überstürzend ballten sie sich klumpig, ihre hornigen Flügeldecken erhoben Gesumse, seinen gänzlichen Verlust zu erhärten.
    Kai regte die Hände. »Ich bin noch da! Neben ihnen allen flehe ich: Rettung! Über ihre Stimmen meinen Schrei setzend, flehe ich alle an: rettet mich!«
    Da wies Arne den Brief. –
    »Nein! Ich habe Reinheit gewollt! Liebe von Margot lag mir nicht an. Als sie sang, war sie schön, und dies war es: ihre Schönheit hinausreißen aus dem Gelächter-Beschmutzten des Nachtcafés in Sonne und Blau, das war mein Wille!«
    Das Briefblatt schwankte. Eine Hand schien darauf zu schlagen, die Buchstaben überstürzten, unbegreifliche Zeichen bildeten sie tanzend.
    »Ich war es nicht! Nächtens, nicht fasslich verlockt, schrieb ich Ungewolltes! Nie Gewolltes! Verachtetes!«
    Dann flehte er fiebernd: »Ich bereue! Ich bereue!«
    Aber seinem Flehen hielt das Briefblatt stand, Wind überwehtedie Seiten, dass sie sich öffneten und auseinandertaten, in einer seltsam erhitzenden Weise; sie zergingen, und näher dem Flügelgereibe das Ohr geneigt, entklang ihm nun der Befehl zu neuem Brief.
    Kai führte die Finger an die Augen. »Noch sehe ich nichts. Der Morgen ist fern.«
    »So viel Zeit zu erliegen! Aber ich tue es nicht. Denn dies hieße ihn rufen, ihn anerkennen, der, jetzt noch ohne Recht, mich beherrscht.«
    Er warf sich fort. Er übersprang dies. Einem Neuen zutaumelnd, erkannte er wiederum Arne, das Haupt geneigt und Worte flüsternd, Worte …
    Dunkler überdrohte es schon Erlittenes, im Tanz der Rätsel trieb der Freund, Margot im Arm, und Unbegreifliches geschah.
    Mochte Kai prüfen, mochte er Erlesenes, Erfangenes, Erahntes berufen, das letzte Rätsel blieb zu.
    Was taten sie? Welche entsetzenswilden Geheimnisse entlockten sie ihren Leibern, ihrem Sein? Wie verschränkten sie die Finger? Wie fügten sie Mund zu Mund? Welchem unbegreiflichen Dienst widmeten sie ihre Hände, doch zum Fassen geformt, ihre Beine, nur zum Gehen gestaltet?
    Jener wusste es, Arne wusste es! Aber hier, überschäumend im Einsamen, lag allein: Kai. Und ob er sich dem Erahnten zuwarf, ob er prüfte und die Reihen der Gedanken durchflog, fieberhafteren Fußes jedes andere Mal – er fand nichts.
    In das Wattige fiel er, Nirwana gähnte und die Rätsel blieben, heute wie gestern und immerdar.
    Die Rätsel blieben.
    Und nun lag er, ein wenig hell im Gesicht und die Hände ausgeleert, und sah Helleres kommen, an den Wänden undder Decke, und das erste Morgengetön brauste auf, der Bäcker Weckengeschrei und das Blechgeroll der Kannen – er hatte den Brief nicht geschrieben, aber war es darum, dass er das Rätsel nicht riet?

45
    Außer den Fenstern stand noch ein wenig verdämmernder Winterhimmel. Die Vorhänge fielen zu, schon summte das Gas.
    »Und deine Mama?«
    Eine kleine runde Regung wies ihm seinen Platz.
    »Ist fort, im Kränzchen. Auch Lotte ist nicht da, irgendwo mit Schaffner …«
    Ein wenig neigte sie sich vor. »Du musst dich gut mit ihm stellen, er wird sich mit Lotte verloben. Mama mag ihn.«
    Kai wies dies ab. »Ich nicht.« Und zuckte auf ihren klagenden Aufblick die Achsel: »Was will man da tun? Er liebt sich zu sehr.«
    Sie schob die Nadel über die genässte Garnspitze.
    »Und du?«
    »Und ich?«
    »Liebst du dich nicht?«
    Er beharrte. »Zu sehr?«
    Da hob sie den Blick. »Ja. Zu sehr.«
    Er griff in sich, ehrlich. »Sehr? Vielleicht ja. Zu sehr? Auch, obschon … Aber anders.«
    »Das sagt jeder.«
    Der Alltag war da, quietschte, quarrte, räkelte gähnend.
    Doch Kai leugnete ihn. »Ja, aber nicht jeder mit Recht. Ich liebe mich sehr, verachte die andern. Aber mehr als mich liebe ich Schönheit. Und in der Wahl hätte sie zu leben, nicht ich. – Aber er?«
    Sie hob die Augen – und nun schien sie ihm klein –: »Sagen kann man das. Doch Beweiskraft …?«
    Er vorgebeugt, die Hände breitend, ihr zu: »Hier! Das ist dein. Sag:

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