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Der junge Häuptling

Der junge Häuptling

Titel: Der junge Häuptling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Verwundete haltsuchend um sich. Cate fuhr zusammen, als die umherirrende Hand des Fremden zufällig ihre Schulter fand und sich daran festzuklammern suchte. Es war ihr, als ob der Alp, von dem sie geträumt hatte, sie plötzlich anfasse, und sie mußte sich zusammenreißen, um nicht laut aufzuschreien. Dabei schämte sie sich vor sich selbst. Ein Mensch, dachte sie mit Anstrengung. Es ist doch nur ein unglücklicher Mensch! Die Finger, die sich hart um ihre Schulter gekrampft hatten, begannen zu zittern und ließen los. In dem Mädchen rührte sich wieder die natürliche Hilfsbereitschaft. Sie griff mit beiden Armen stützend nach dem wankenden Körper. Ihre Hände fühlten einen Tuchrock, und dann legte sich das Gewicht eines langgewachsenen Menschen auf sie, der ihren schwachen Kräften zu schwer war. Ihre Arme gaben nach, und der Fremde sank ins Gras. Er mußte schwer verwundet oder von Hunger und Durst ganz erschöpft sein.
    Ben beugte sich über ihn. Das Mädchen nahm an, daß er dem halb Ohnmächtigen endlich helfen wolle, aber für Ben, den Rauhreiteranführer, schien immer noch anderes wichtiger.
    »Das Maul auf!« schrie er den Fremden an. »Wer hat auf dich geschossen? Sind die roten Hunde in der Nähe?«
    Der Unbekannte lallte nur hilflos.
    Ben richtete sich wieder auf. »So rede also du, Bill!« forderte er den Kundschafter auf, der den Fremden gebracht hatte. »Hast du was erfahren von dem Burschen?«
    »Nein. Die Zunge ist durchstochen. Er hat dickes Blut im Mund. In den Rock hat ihm einer mit dem Messer ein Viereck eingeschnitten.«
    »Verdammt!« Der Leutnant und Ben sagten das Wort wie aus einem Munde.
    »Verdammt!« wiederholte Ben. Er sprach auf einmal so leise, als ob er sich fürchte. »Wißt Ihr, was das zu bedeuten hat?«
    »Die rothäutigen Mörder!« Roach fluchte. »Sollte das Gesindel sich wirklich in der Nähe herumtreiben?«
    »Das kann uns der da nicht mehr erzählen, Leutnant!« In dem Ton, in dem Ben das Wort »Leutnant« sprach, lag jetzt alles, was an Überlegenheit und Verachtung eines auf seine Erfahrung eingebildeten Mannes gegenüber einem Neuling in der Prärie möglich war. »Jetzt heißt es einmal den eigenen Verstand anstrengen!«
    Roach überhörte die Ironie und betastete den Fremden. »Wer kann das sein? In einem Tuchrock in der Prärie?«
    Ben war zu dem schmalschultrigen Offizier getreten, und als der Leutnant sich wieder aufrichtete, stand der Rauhreiterführer unmittelbar, fast drohend, vor ihm. »Roach, höre gut zu, was ich dir jetzt zu sagen habe. Ich will dir erklären, was das für einer ist hier in seinem Tuchrock. Ein Goldsucher ist das, oder ich will sofort mein eigenes Gehirn verspeisen. Wer läuft denn sonst in einem solchen Aufzug jetzt in Richtung der Black Hills? Nur ein Selbstmörder oder ein Goldsucher, das ist klar. Jetzt ist er stumm, stumm wie ein Fisch, und so haben sie ihn uns geschickt! Weißt du, wer das so macht, hierzulande? Weißt du, wer die Goldsucher verfolgt, als wären sie die Pest? Die Bärenbande ist das, die Mörderbande, mit ihrem Hauptbanditen, unserem ehemaligen Scout Harry. Das Viereck ist sein Zeichen! Wo Ihr das Viereck findet oder wo Ihr den Messergriff seht, der wie ein Vogelkopf geschnitzt ist, da wißt Ihr, mit wem Ihr es zu tun habt! Ich will schwören, daß es dieser Hundsfott gewesen ist, der den da hat laufenlassen, nachdem er ihn stumm gemacht hat! Zum Hohn hat er ihn uns geschickt und als Kriegserklärung!«
    »Ben, halt die Schnauze! Du phantasierst!«
    Der Rauhreiter änderte seine Haltung. Er sprach auf einmal wieder ruhig. »Heda, Bill, wo hast du die Flinte von dem Kerl? Hast du sie dir geklaut?«
    »Nein.«
    »Ist er ohne Flinte geritten?«
    »Ja.«
    »Dann haben die Dakota sein Schießeisen in Händen. Das verdammte Pack.«
    »Wir müssen uns schlüssig werden, was wir jetzt tun wollen«, drängte Roach, von spürbarer Unruhe überfallen.
    »Tun wollen? Eben das, Leutnant, was wir vorhatten. Man muß sich nicht gleich aus dem Stand werfen lassen. Wir fahren noch bis kurz vor Mitternacht, dann wird eine Wagenburg gebaut und Nachtlager bezogen. Vor Mitternacht greift kein Roter an. Die warten immer die Stunden ab, in denen unsereiner sehr müde und schläfrig ist, zwischen drei und vier Uhr morgens. Bis zwölf Uhr können wir auf alle Fälle noch fahren.«
    »Gut, fahren wir noch so lange, wenn du meinst, daß bis dahin keine Gefahr besteht. Je näher wir mit unserem Nachtlager der Station sind, desto

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