Der Junge im gestreiften Pyjama (German Edition)
herauf und hallte so laut im Haus wider – wie ein Gewehrschuss –, dass Bruno zusammenschreckte und Maria einen kurzen Schrei ausstieß. Bruno hörte Schritte die Treppe heraufpoltern, immer schneller, und er kroch auf dem Bett zurück und drückte sich an die Wand, weil er plötzlich Angst vor dem hatte, was als Nächstes passierte. Er hielt die Luft an und erwartete Ärger, aber es war nur Gretel, der hoffnungslose Fall. Sie streckte den Kopf zur Tür herein und schien überrascht, dass sich ihr Bruder und das Dienstmädchen der Familie unterhielten.
»Was ist los?«, fragte Gretel.
»Nichts«, erwiderte Bruno abwehrend. »Was willst du? Verschwinde.«
»Verschwinde selber«, erwiderte sie, obwohl es sein Zimmer war. Dann wandte sie sich Maria zu und kniff dabei misstrauisch die Augen zusammen. »Lass mir ein Bad ein, Maria, ja?«, sagte sie.
»Warum lässt du dir nicht selber ein Bad ein?«, fuhr Bruno sie an.
»Weil sie das Dienstmädchen ist«, sagte Gretel und starrte ihn an. »Dafür ist sie schließlich da.«
»Dafür ist sie nicht da«, schrie Bruno, stand auf und marschierte zu ihr. »Sie ist nicht nur da, um dauernd Sachen für uns zu machen, verstehst du? Vor allem Sachen, die wir selber machen können.«
Gretel starrte ihn an, als wäre er übergeschnappt, und dann schaute sie zu Maria, die rasch den Kopf schüttelte.
»Natürlich, Gretel«, sagte Maria. »Ich will nur eben die Sachen von deinem Bruder aufräumen, dann bin ich gleich bei dir.«
»Aber beeil dich«, sagte Gretel schroff, stolzierte in ihr Zimmer davon und schloss die Tür hinter sich. Im Gegensatz zu Bruno überlegte sie nie, dass Maria ein Mensch mit Gefühlen war, genau wie sie auch. Maria sah ihr nicht hinterher, aber ihre Wangen waren hochrot angelaufen.
»Ich glaube trotzdem, dass er einen schrecklichen Fehler gemacht hat«, sagte Bruno leise nach ein paar Minuten, weil er meinte, sich für das Verhalten seiner Schwester entschuldigen zu müssen, aber nicht wusste, ob es richtig war oder nicht. Bruno fühlte sich in solchen Situationen immer sehr unwohl, denn in seinem Herzen wusste er, es gab keinen Grund, zu anderen unhöflich zu sein, auch wenn sie für einen arbeiteten. Schließlich gab es so etwas wie Umgangsformen.
»Selbst wenn du das glaubst, darfst du es nicht laut sagen«, entgegnete Maria rasch, ging auf ihn zu und sah aus, als wollte sie ihn gleich schütteln, um ihm Verstand beizubringen. »Versprich es mir.«
»Aber warum?«, fragte er missmutig. »Ich sage doch bloß, was ich denke. Das darf ich doch, oder?«
»Nein«, sagte sie. »Darfst du nicht.«
»Ich darf nicht sagen, was ich denke?«, wiederholte er ungläubig.
»Nein«, beharrte sie, und ihre Stimme klang schrill, als sie jetzt fast flehend zu ihm sagte: »Behalt es einfach für dich, Bruno. Ist dir nicht klar, dass du uns damit viel Ärger einhandeln kannst? Uns allen?«
Bruno starrte sie an. In ihrem Blick lag eine rasende Angst, wie er sie noch nie gesehen hatte, und das beunruhigte ihn. »Na gut«, murmelte er, stand auf und ging zur Tür, weil er plötzlich möglichst schnell von ihr weg wollte. »Ich habe nur gesagt, dass es mir hier nicht gefällt, mehr nicht. Ich wollte mich nur unterhalten, während du die Wäsche einräumst. Schließlich habe ich ja nicht vor, wegzulaufen oder was. Aber wenn ich es tun würde, könnte mir das niemand vorwerfen.«
»Willst du deine Mutter und deinen Vater halb zu Tode ängstigen?«, fragte Maria. »Bruno, wenn du nur ein bisschen Verstand hast, bist du still und konzentrierst dich auf deine Schularbeiten und tust, was dir dein Vater sagt. Wir müssen alle dafür sorgen, dass uns nichts zustößt, bis das alles vorbei ist. Ich habe das jedenfalls vor. Was könnten wir sonst auch anderes tun? Es liegt nicht in unserer Hand, Dinge zu ändern.«
Plötzlich und ohne zu wissen warum, verspürte Bruno das überwältigende Bedürfnis zu weinen. Es überraschte ihn selbst, und er blinzelte schnell ein paarmal, damit Maria nicht merkte, wie ihm zumute war. Als er sie jedoch wieder ansah, hatte er den Eindruck, dass an diesem Tag vielleicht etwas Seltsames in der Luft lag, denn auch in ihren Augen schimmerten Tränen. Alles in allem fühlte er sich sehr unwohl, deshalb drehte er ihr den Rücken zu und lief zur Tür.
»Wohin gehst du?«, fragte Maria.
»Nach draußen«, sagte Bruno verärgert. »Falls dich das was angeht.«
Er ging langsam, doch sobald er aus dem Zimmer war, lief er etwas schneller zur
Weitere Kostenlose Bücher