Der Junge im gestreiften Pyjama (German Edition)
interessant fand, besonders die Teile über Ritter, die auf der Suche nach Abenteuern in fremde Länder zogen und dort interessante Phänomene entdeckten.
Es gab nur zwei Dinge, die Bruno für sein neues Vergnügen benötigte: ein Seil und einen Gummireifen. Das Seil war leicht zu finden, denn im Keller gab es davon jede Menge, und dann machte er etwas ganz Gefährliches, er suchte ein scharfes Messer und schnitt so viele Stücke ab, wie er seiner Schätzung nach brauchte. Die Stücke brachte er zur Eiche und legte sie dort für später auf den Boden. Der Reifen allerdings war eine andere Sache.
An jenem Morgen waren seine Eltern beide nicht da. Mutter hatte das Haus schon früh in aller Eile verlassen und war mit dem Zug in eine nahe gelegene Stadt gefahren, um für den Tag ein bisschen Luftveränderung zu bekommen. Und Vater hatte er zuletzt gesehen, als er in Richtung der Baracken vor Brunos Fenster ging. Aber es parkten wie immer viele Lastwagen und Autos in der Nähe des Hauses, und auch wenn ihm klar war, dass er unmöglich einen Reifen von einem der Fahrzeuge stehlen durfte, bestand durchaus die Möglichkeit, irgendwo einen Ersatzreifen zu finden.
Als er nach draußen trat, sah er Gretel mit Oberleutnant Kotler reden und überlegte sich, wenn auch nicht sehr begeistert, dass es am sinnvollsten wäre, ihn zu fragen. Oberleutnant Kotler war der junge Mann, den Bruno am ersten Tag in Aus-Wisch gesehen hatte, der Soldat, der oben in ihrem Haus aufgetaucht war und ihn kurz gemustert hatte, ehe er nickte und seinen Weg fortsetzte. Bruno hatte ihn seither bei vielen Gelegenheiten gesehen, denn er ging im Haus ein und aus, als ob es ihm gehörte, und zu Vaters Büro war ihm der Zutritt eindeutig nicht verboten, aber miteinander geredet hatten sie nicht sehr oft. Bruno war nicht ganz sicher warum, aber er spürte, dass er Oberleutnant Kotler nicht mochte. In seiner Nähe wurde ihm meistens ganz kalt, und er hatte das Gefühl, er müsste einen Pullover überziehen. Trotzdem gab es sonst niemanden, den er fragen konnte, und deshalb ging er mit so viel Selbstvertrauen, wie er aufbringen konnte, zu Kotler und begrüßte ihn.
An den meisten Tagen sah der junge Oberleutnant sehr elegant aus und lief in einer Uniform herum, die aussah, als wäre sie an seinem Körper gebügelt worden. Seine schwarzen Stiefel blitzten immer, und seine strohblonden Haare waren an der Seite gescheitelt und wurden von etwas in Form gehalten, das alle Kammspuren vortreten ließ – wie die Furchen bei einem frisch bestellten Feld. Außerdem trug er so viel Kölnischwasser, dass man ihn schon aus einiger Entfernung riechen konnte. Bruno hatte sich angewöhnt, nie in Windrichtung vor ihm zu stehen, weil er sonst riskierte, in Ohnmacht zu fallen.
An jenem Tag jedoch war er, da es ein Samstagmorgen und sehr sonnig war, nicht so perfekt geschniegelt. Vielmehr trug er ein weißes Unterhemd über der Hose, und sein Haar hing ihm schlaff in die Stirn. Seine Arme waren erstaunlich braun und er hatte Muskeln, wie Bruno sie auch gern gehabt hätte. Er sah viel jünger aus als sonst, stellte Bruno erstaunt fest, ja, er erinnerte ihn sogar an die älteren Jungen in der Schule, um die er immer einen großen Bogen machte. Oberleutnant Kotler war in die Unterhaltung mit Gretel vertieft und hatte vermutlich gerade etwas sehr Lustiges gesagt, denn sie lachte laut und wickelte ihr Haar in Ringellocken um die Finger.
»Hallo«, sagte Bruno im Nähertreten, und Gretel sah ihn gereizt an.
»Was willst du denn?«, fragte sie.
»Ich will gar nichts«, fauchte Bruno und funkelte sie böse an. »Ich wollte nur hallo sagen.«
»Sie müssen meinen jüngeren Bruder entschuldigen, Kurt«, sagte Gretel zu Oberleutnant Kotler. »Er ist erst neun, wissen Sie.«
»Guten Morgen, kleiner Mann«, sagte Kotler, streckte die Hand aus und fuhr ihm durchs Haar, eine Geste, bei der Bruno ihn am liebsten zu Boden gestoßen hätte und auf seinem Kopf herumgetrampelt wäre. »Und was treibt dich so früh an einem Samstagmorgen um?«
»Früh ist es eigentlich nicht mehr«, sagte Bruno. »Es ist schon fast zehn.«
Oberleutnant Kotler zuckte die Schultern. »Als ich in deinem Alter war, hat mich meine Mutter nicht vorm Mittagessen aus dem Bett gekriegt. Sie sagte immer, ich würde nie groß und stark werden, wenn ich mein ganzes Leben verschlafe.«
»Damit lag sie aber ziemlich falsch, nicht?«, säuselte Gretel. Bruno schaute sie angewidert an. Sie redete in einem Ton, der sie wie
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