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Der Junge im Mond: Wie mein Sohn mir half, die Welt zu verstehen (German Edition)

Der Junge im Mond: Wie mein Sohn mir half, die Welt zu verstehen (German Edition)

Titel: Der Junge im Mond: Wie mein Sohn mir half, die Welt zu verstehen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Brown
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Bett lagen und miteinander redeten, bevor wir einschliefen. »Sie sagen, › ich würde ihn gegen nichts auf der Welt eintauschen wollen ‹ . Aber ich würde es. Ich würde Walker eintauschen, wenn ich auf einen Knopf drücken könnte, für das allernormalste Kind, das bloß Dreien in der Schule kriegt. Ich würde ihn sofort eintauschen. Ich würde ihn nicht um meinetwillen, um unseretwillen eintauschen. Aber ich würde ihn um seiner selbst willen eintauschen. Ich glaube, Walker hat ein sehr, sehr hartes Leben.«

Sieben
    SIEBEN JAHRE LANG sprachen wir darüber, dass Walker in ein Heim für Behinderte umziehen sollte. Oder, um es präziser auszudrücken: Sieben Jahre lang habe ich zögernd das Thema eines Umzugs Walkers in solch ein Heim angeschnitten, und keiner von uns beiden vermochte diese Möglichkeit ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Wir mussten es tun, aber wir konnten es nicht.
    Das Dilemma erinnerte mich an ein Experiment, über das ich einmal gelesen hatte. Ratten wurden in eine Skinner-Box gesetzt. Der Boden der Box wurde dann unter Strom gesetzt, und die Ratten konnten diesem Schock nur entgehen, indem sie auf eine erhöhte Plattform sprangen. Unglücklicherweise wurde jede Ratte, die die Plattform benutzte, mit einem Strahl extrem kalter Luft direkt in ihren Anus bestraft – eine Erfahrung, die Ratten offenbar nicht mögen. Ratten, die diesem unausweichlichen Dilemma ausgesetzt waren, begannen schnell, Züge eines klassischen schizophrenen Verhaltens aufzuweisen. Ich wusste, wie sich die Ratten fühlten.
    Als Walker neun war, wog er an die dreiunddreißig Kilo und war größer geworden, genauso wie wir älter geworden waren. Ich war fünfzig, Johanna neunundvierzig, und Hayley war plötzlich ein Teenager geworden. Walker nach oben zu tragen, war, als würde man einen Seesack voller Eisengranulat schleppen, wobei das ganze Gewicht in den Boden des Sackes rutschte. Drei Stunden Schlaf pro Nacht, vier Nächte hintereinander begannen allmählich Wirkung zu zeigen: Migräne mit Sehstörungen wurde zu einem neuen Element in meinem Leben. Wie lange konnten wir noch durchhalten? Verzweiflung überkam uns in Wellen, besonders wenn Walkers Gesundheit litt.
    Ich hielt die Ohren offen, was Informationen über Wohngruppen und zuverlässige Einrichtungen für betreutes Wohnen für geistig Behinderte anbelangte – aber jedes Mal, wenn ich einer neuen Spur folgte, verschwand sie hinter irgendeinem Vorwand: kein Platz, keine öffentlichen Gelder, nicht für kleine Jungen geeignet. Eine berühmte Einrichtung für geistig Behinderte nördlich der Stadt hatte eine Warteliste von zwanzig Jahren und nahm keine Kinder auf. Ich schloss mich der städtischen Vereinigung für gemeinschaftliches Wohnen an, in der Hoffnung, mich irgendwie bei den Organisatoren beliebt zu machen und früh neue Hinweise zu bekommen; stattdessen informierten mich die Organisatoren darüber, dass der durchschnittliche Bewerber für einen Platz im Netzwerk städtischer Wohngruppen ein Vierzigjähriger mit Down-Syndrom und alten Eltern war, die selbst zunehmend auf eine entsprechende Wohneinrichtung angewiesen waren. Ich kam aus diesem Gespräch mit der Vorstellung wieder heraus, dass die Zukunft noch sehr weit entfernt war. Kein Wunder, dass wir Walker bei uns behalten wollten: Die Welt jenseits unserer eigenen Hauswände, die Welt öffentlicher Wohneinrichtungen für die Schwerbehinderten, klang wie ein Roman von Zola.
    Wir hatten mit dieser entmutigenden Lage der Dinge im Hintergrund schon Jahre gelebt. Damals, als Walker zwei Jahre alt gewesen war, in den dunklen Tagen, als er begonnen hatte, sich selbst zu schlagen, stellte mich ein Freund, der selbst eine behinderte Tochter hatte, einem Mann vor, von dem man mir sagte, dass er meine Probleme lösen würde. Er arbeitete als eine Art Lobbyist und Anwalt für die Behinderten. Ich hatte von solchen Leuten schon gehört: Es waren beinahe legendäre Gestalten, von denen man zwar sprach, die aber selten gesehen wurden. Ein solcher Vertreter war eine Art persönlicher Manager und Agent – jemand, der ganz bestimmte Fälle übernahm (beileibe nicht jeden Fall) und sich für jene arme Seele in der weiten, komplizierten Welt der Bürokratie für die Bedürftigen einsetzte. Dieser Anwalt half Familien, herauszufinden, was sie brauchten, stellte einen passenden Angriffsplan gegen die Bürokratie zusammen und kämpfte dann für Fürsorge, Unterstützung und Geld. Solche Vertreter arbeiteten gewöhnlich für

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