Der Junge im Mond: Wie mein Sohn mir half, die Welt zu verstehen (German Edition)

wählt.
    »Ich weigere mich zu glauben, dass dies seine Persönlichkeit ist«, sagt Johanna. »Und deshalb bin ich so frustriert darüber, dass es uns nicht gelingt, eine Form der Kommunikation mit ihm zu etablieren.«
    Schottenkaro-Hänger: »Ist er zu abhängig davon, gehalten zu werden?«
    Das ist es, was meiner Meinung nach geschieht: Walker möchte eine Bestätigung, dass er ein menschliches Wesen ist. Er hasst es, so merkwürdig und anders zu sein. Jetzt will diese Psychologin mir die einzige Form wegnehmen, in der ich ihm sagen kann, dass er nicht anders und merkwürdig ist.
    Ohne einen Anwalt, darauf wartend, dass etwas passiert, das uns aus diesem Alptraum der Fürsorge für einen Jungen, dessen Bedürfnisse in dem Maße größer werden, in dem unsere Fähigkeiten schrumpfen, heraushilft, sind wir zurückgeworfen auf die Ad hoc-Dienstleistungen, die die Regierung als Überbrückung bis zu einer dauerhafteren Lösung anbietet. Es gibt Pflegedienste – Pflegekräfte, die zwei Mal die Woche kommen und einen halben Tag bei Walker bleiben – aber auch die müssen ausgesucht, für sie müssen Anträge gestellt und bewilligt werden. Alles, was wir brauchen, bedarf eines neuen Antrages: Welches Formular? Wo bekommen wir es her?Wer hat Zeit, es zu besorgen? Wo schicken wir es hin? Wenn es abgeschickt ist, warten wir.
    Eine Anzahl brillanter Studentinnen taucht auf diese Weise in Walkers Leben auf – Frauen, die mein vollgestopftes Gehirn nur als Gwen, Elizabeth und Del in Erinnerung behalten hat. Gwen ist eine Mediävistin aus Texas, eine brillante und kreative Frau mit dem Aussehen einer sexy Bibliothekarin und einem massigen, sehr angenehmen Freund. Elizabeth ist der erste Buffy – Im Bann der Dämonen -Fan, der mir je begegnet ist: Sie konnte witzig und endlos über ihre Heldin erzählen und hat mir beigebracht, solche Obsessionen der Popkultur ernst zu nehmen. Del ist die liebenswerteste: eine stille, dunkelhaarige und hingebungsvolle Kinderpädagogik-Studentin, die selbst einen behinderten Bruder hat. Hayley liebte sie alle wie große Schwestern, und Walker irritiert sie nicht mehr als eine belebte Straße. Sie sind so jung, hoffnungsfroh und voller Energie, und ich bin ihnen so dankbar. Die Dankbarkeit sprießt in mir wie Hirsegras im Rasen, ja sie wuchert regelrecht.
    Aber sie alle führen ihr eigenes Leben, und sie bleiben nie lang. Es gibt einige Steuererleichterungen für Leute wie uns, aber Johanna und ich arbeiten beide, und so ist unser Einkommen im Allgemeinen zu hoch, als dass wir infrage kommen würden, was wir herausfinden, nachdem wir unsere Steuererklärung ausgefüllt haben. Es gibt auch Programme, um die Kosten für die notwendigen Geräte und Apparate zu decken, aber dafür muss man Unmengen Formulare ausfüllen, von den nötigen Nachforschungen gar nicht zu reden: Die Regierung scheint anzunehmen, dass ich mir ein Gitterbett und einen Infusionsständer erschleichen möchte. Genau das, was ich immer schon haben wollte! Auf jeden Fall müsste einer von uns beiden diese Formulare ausfüllen – aber wir arbeiten beide und kümmern uns außerdem rund um die Uhr um Walker. Als wir beide beginnen, frei zu arbeiten, um flexibler sein zu können, werden die Formulare schließlich ausgefüllt – Johanna verbringt vier Stunden die Woche mit diesem Papierkram –, aber wir verdienen weniger Geld, woraufhin wir diese Steuererleichterungen in Anspruch nehmen können. Das ganze System ähnelt einem absurden Rube-Goldberg-Apparat.
    Und das ist bloß die Bürokratie, die den Behinderten betrifft. Die Bürokratie für die Nicht-Behinderten ist noch einmal eine ganz andere Galaxie. Im Alter von fünf Jahren begann Walker, die Beverly Junior Public School zu besuchen – eine berühmte lokale Einrichtung, ausschließlich für geistig behinderte Kinder, in der das Verhältnis Schüler-Lehrer drei zu eins ist. Die Schule ist ein heller, luftiger Ort, der für Kinder entworfen worden ist, die nicht durch ein normales Fenster sehen oder einfach durch eine Standard-Tür gehen können. Die Wirkung auf Walkers Selbstbewusstsein ist augenblicklich zu spüren: Innerhalb von einem Monat entwickelt er sich von jemandem, den man in der Schule von Zimmer zu Zimmer tragen muss, zu jemandem, der selbstständig überall hin läuft. Aber nach einem Jahr verkündet die Provinzregierung, dass sie vorhat, diese Schule zu schließen. Die Schule ist nur für behinderte Kinder gedacht – eine »getrennte« Einrichtung, im