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Der Junge im Mond: Wie mein Sohn mir half, die Welt zu verstehen (German Edition)

Der Junge im Mond: Wie mein Sohn mir half, die Welt zu verstehen (German Edition)

Titel: Der Junge im Mond: Wie mein Sohn mir half, die Welt zu verstehen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Brown
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mussten uns alles vorstellen. Noch mehr Spezialisten drängten sich in unser Leben. Walker wurde als funktional autistisch diagnostiziert – nicht als klinisch autistisch, aber er benahm sich so – neben dem CFC -Syndrom. Dr. Saunders probierte es mit Prozac, Citalopram, Risperidon (ein Antipsychotikum, das gegen Schizophrenie eingesetzt wird, es ist bekannt dafür, zwangsneurotische Störungen bei Kindern zu lindern). Nichts funktionierte. Einmal in Pennsylvania biss er sich bis auf den Knochen in die eigene Hand und verbrachte nach einer einstündigen Operation, um den Schaden zu beheben, eine Nacht im Krankenhaus. (Die Rechnung belief sich auf 14 000 Dollar.)
    Dr. Saunders’ Notizen begannen, immer längere Schreckensphasen aufzuzeichnen. »Bumst« sich gegen die Ohren, 2-3 Tage lang. Ich erinnere mich an den Morgen, besonders an den kummervollen Ausdruck auf Walkers Gesicht, während er sich selbst schlug. Er sah mich ganz direkt an. Er wusste, dass es schlecht und falsch war, er wusste, dass er sich selbst weh tat, er wollte es stoppen, und er konnte es nicht – warum konnte ich es nicht? Sein normalerweise eher schwaches Gewinsel wurde schrecklich laut. Von Juni 2001 bis zum Frühling 2003 erwähnt jeder Eintrag in seiner Krankenakte sein Unglück, seine Reizbarkeit.
    Wusste er, dass sich sein Fenster zum Lernen wieder schloss? Wurde seine Sicht schwächer? 72 Stunden aggressives Verhalten. Unglückliches Weinen x 5 Tage . Selbst Dr. Saunders Handschrift wurde wackelig und krakelig, abgelenkt von dem Chaos jener kreischenden Visiten. Schreit den ganzen Tag, muss gehalten werden.
    Ich fürchtete das Wartezimmer des Arztes mit seinen gut angezogenen Müttern und den gut erzogenen Kindern. Sie waren ausnahmslos freundlich, aber wenn ich mit Walker hereinkam, der jaulte und sich den Kopf schlug, fühlte ich mich, als würde ich als nackte Ein-Mann-Band in eine Kirche platzen, mit einem Römischen Licht im Hintern und singen: »Ausgerechnet Bananen!«
    Mutter verweint, notierte Dr. Saunders am 29. Dezember jenes grässlichen Jahres. Muss dringend zur Kur .
    Ich erinnere mich auch an jenen Tag. Wir fuhren Walker vom Arzt nach Hause, fütterten Walker, badeten Walker, trösteten Walker und brachten Walker ins Bett. Ich hörte, wie sein Weinen allmählich nachließ. Normalerweise war Johanna erleichtert, wenn er einschlief, aber an jenem Abend kam sie schluchzend aus seinem Schlafzimmer nach unten und hatte die Arme um sich geschlungen.
    »Er ist fort«, sagte sie. »Mein kleiner Junge ist fort. Wo ist er hin?« Sie war untröstlich.
    Dann werden Sie vielleicht auch verstehen, warum ich am nächsten Morgen ernsthaft nach einem Ausweg zu suchen begann. Ich sagte es Johanna nicht, aber ich musste einen Ort finden, an dem Walker leben konnte, irgendwo außerhalb unseres Zuhauses. Mir war nicht klar, dass das sieben Jahre dauern würde, dass es das Schmerzhafteste sein würde, das ich jemals getan habe, und dass der Schmerz nie mehr weggehen würde.

    Auf meinem Schreibtisch im Büro steht ein Foto von Hayley, wie sie Walker vorliest. Das war im Norden, auf der ruhigen Insel. Sie liegen Seite an Seite auf einem Bett, und Walker schaut zu dem Buch in Hayleys Händen hoch, als wäre er von jedem Wort gefesselt. Ich weiß nicht, ob er eine Silbe versteht. Aber er kann ihre Stimme hören, ist begeistert, mit ihr zusammen zu sein, und begreift sichtlich die Zuwendung seiner schlauen, großen Schwester. Er ist zu diesem Augenblick geworden und der Augenblick ist zu ihm geworden, weil er nichts anderes sein muss. Walker ist ein Experiment des menschlichen Lebens, das in der einzigartigen Atmosphäre dauerhafter Gegenwart verläuft. Nur wenige können darin überleben.
    Das Foto erinnert mich an ein Gedicht, das ich einmal in einer Zeitschrift gelesen habe, von Mary Jo Salter:
    None of us remembers these, the days
    When passing strangers adored us at first sight
    Just for living, or for rolling down the street.
    Praised all our given names, begged us to smile.
    You, too, in a little while, my darling,
    Will have lost all this,
    asked for a kiss will give one,
    And learn how love dooms one to earn love
    Once we can speak of.
    Mein Junge Walker hat da keinen Kummer. Er fragt nie, wird dennoch von vielen geliebt. Aber ich bezweifle, dass es ihm mühelos erscheint.
    »Ich höre Eltern anderer behinderter Kinder die ganze Zeit sagen: › Ich würde mein Kind nicht anders haben wollen ‹ «, sagte Johanna eines Nachts, als wir im

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