Der Junge im Mond: Wie mein Sohn mir half, die Welt zu verstehen (German Edition)
Jaime in einem der medizinischen Zentren der UCLA untersuchen zu lassen, und die Ärzte dort schlugen ihnen vor, mit ihr einen Termin bei Dr. John Opitz zu vereinbaren, dem berühmten Genetiker aus Wisconsin. Als er Jaime ein paar Monate später untersuchte, sagte er zu den anderen Ärzten, die dabei anwesend waren, dass sie wahrscheinlich in ihrem ganzen Leben keinen anderen mit Jaime vergleichbaren Fall mehr sehen würden.
Zwei Jahre vergingen, bis Opitz und sein Team von Kollegen ihren bahnbrechenden wissenschaftlichen Aufsatz veröffentlichten, in dem sie CFC als neues und spezifisches Syndrom beschrieben. An dem Tag, an dem Lana diesen Aufsatz las, sah sie auch zum ersten Mal in ihrem Leben das Bild eines anderen Kindes mit CFC . Lana hatte die Vorstellung, dass die Veröffentlichung des wissenschaftlichen Beitrags eine Welle noch nicht dokumentierter Fälle von CFC nach oben spülen würde und dass die Wissenschaftler sie in Kontakt mit anderen CFC -Eltern bringen würden und umgekehrt. Sie gab ihnen sogar die schriftliche Einwilligung, ihren Namen und ihre Adresse weiterzugeben. Aber nichts passierte. Die Genetiker behielten die Information für sich – aus Gründen der Vertraulichkeit und des Datenschutzes. Wenn man ein Kind mit etwas so Seltenem und Unerforschten wie CFC hat, ist das Letzte , was man will, Vertraulichkeit. Man will alle einfach nur erdenkliche Hilfe.
Vier Jahre lang hörte Lana nichts. Es war, als wäre das Syndrom nun benannt und dann in einen Minenschacht geschmissen worden. Also tat sie das Einzige, was sie tun konnte: Sie verbrachte Stunden damit, den publizierten Bericht zu lesen und dieselben Fotos wieder und wieder zu betrachten. Ihre eigene Tochter schien die schwerwiegendsten Symptome zu haben, und Lana sorgte sich, dass sie von niemand anders gehört hatte, weil niemand Jaime kennen lernen wollte.
Als Jaime vierzehn war, begann Lana für »Head Start« zu arbeiten, einem staatlichen Erziehungsprogramm für Kinder aus instabilen Verhältnissen und unterprivilegierten Familien. Sie arbeitete mit der örtlichen Schule zusammen. Eines Tages hörte sie, dass ein neues Kind in ihre Klasse kommen sollte. Das neue Kind hatte erst angefangen zu laufen, als es schon vier Jahre alt gewesen war – genau wie Jaime.
Ein paar Tage später lernte Lana das neue Mädchen kennen. »Als das Kind ins Klassenzimmer kam, traute ich meinen Augen nicht«, erzählte mir Lana. »Ich dachte mir sofort, wenn ich Genetiker wäre, würde ich sagen, dass dieses Kind das gleiche Syndrom wie Jaime hat, dieses Kind hat CFC .« Sobald sie konnte, nahm Lana Kontakt mit der Mutter des Mädchens auf und tatsächlich, das Mädchen war auch mit CFC diagnostiziert worden – vom selben Kinderarzt, der Jaime diagnostiziert hatte. Er hatte nur nicht daran gedacht, die Information an Lana weiterzugeben. Stattdessen, durch einen unvorstellbaren Zufall (es gibt kein statistisch aussagekräftiges geografisches Muster, was die Verbreitung von CFC anbelangt), in einer derart abgelegenen Gegend, wie man sie in den Vereinigten Staaten überhaupt nur finden kann, kam ein CFC -Kind in das Klassenzimmer einer Frau, die das einzige andere CFC -Kind im Umkreis von Tausenden von Meilen hatte. Lana dachte, dass das irgendwie ein Wunder sein musste, statistisch oder sonst irgendwie.
Für Lana war diese Begegnung eine ungeheure Erleichterung. »Es liegt etwas Mächtiges und Befriedigendes im Wissen, warum das eigene Kind so ist, wie es ist, und mit anderen Familien in Verbindung zu stehen, die ein Kind haben wie das eigene«, erklärte Lana. Dennoch, das neue Kind war in seiner Entwicklung viel weiter als Jaime, und Lana sorgte sich, dass ihre Mutter irritiert sein würde, wenn sie Jaime kennenlernte, eine viel ältere und schwerer behinderte Person, ein Menetekel der Zukunft.
Wie sich dann herausstellte, brachte die andere CFC -Mutter keinerlei Wunsch zum Ausdruck, in Kontakt zu bleiben, und die Familie zog bald weg. »Aber ich habe mit dem Kind gearbeitet«, erzählte mir Lana, »und ich dachte, das ist ein richtiges Syndrom.«
Als Jaime elf Jahre alt war, war es für Lana und ihren Mann zu schwierig geworden, sich weiter um sie zu kümmern (besonders, weil sie noch drei andere Kinder hatten), und sie zog in eine der besten Wohngruppen in den USA , in Idaho. »Das war das Dramatischste, das Schwierigste, das ich je getan habe«, sagte Lana. »Da war dieses Loch in meinem Herzen. Und ich glaube, das machte es auch für mich so
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