Der Junge mit den blauen Haaren
Schlagfertigkeit erschreckt mich … doch auch Kay ist sprachlos, denn es kommt kein Kommentar mehr. Vielmehr erklingt unverzüglich das Rauschen der Dusche.
19)
W ährend des gemeinsamen Frühstücks sieht Kay immer wieder zu mir rüber.
Ich weiß, es ist blöd, aber nach diesem Wahnsinnskuss kann ich ihm einfach nicht in die Augen sehen.
Mensch, Kim, reiß dich zusammen! Das war nur ein Traum. „Alles klar bei dir?“
Kay schiebt mir eine Schale mit Orangenschnitzen zu. Ich greife mir ein Stück und schiebe es mir in den Mund.
„Mmmmh.“ Mit geschlossenen Augen sauge ich den Saft aus dem Obst und lecke mir anschließend die Finger ab.
Jetzt traue ich mich endlich, Kay anzusehen.
Er sitzt da wie eine Statue und sieht mich an, als käme ich von einem anderen Stern.
„Oh, entschuldige“, nuschele ich und lutsche noch schnell meinen Daumen ab, „ja, mir geht’s gut. Ich hab nur nicht ganz so gut geschlafen, das ist alles.“
„Das … ähm … tut mir leid“, sagt Kay und betrachtet fasziniert meinen Daumen.
„Kein Problem“, sage ich locker, weil ich einfach nicht länger an meinen Traum denken will, solange der Gegenstand desselben mir gegenüber sitzt.
„Wollen wir?“
Rheena und Greg stehen neben uns.
Latein steht auf dem Stundenplan. Vier Stunden am Stück. Ich kann es kaum erwarten.
Miss Viola begrüßt uns mit einem strahlenden Lächeln, das bei Kay und mir noch um einen Zacken strahlender ausfällt.
Ich weiß nicht, was es ist. Aber irgendwie macht mir ihre Freundlichkeit Angst.
Warum kann ich sie nicht hassen?
Nein, nicht hassen. Das ist das falsche Wort.
Aber warum fällt es mir so schwer, sie nicht zu mögen?
Okay, sie hat mir nichts getan. Sie ist einfach nur freundlich, nett, liebevoll … etwas, das ich von einer Frau niemals erfahren durfte.
Wie denn auch?
Vermutlich kann ich deswegen nicht damit umgehen.
Von Rheena weiß ich, dass Miss Viola Anfang dreißig ist … aber sie sieht, verdammt nochmal, aus wie Mitte zwanzig.
Und da ist etwas zwischen ihr und Kay. Etwas, mit dem ich nichts anfangen kann.
Mag sie ihn mehr, als schicklich ist zwischen Lehrerin und Schüler?
Kays Verhalten gibt jedenfalls keinerlei Anlass zu diesem schrecklichen Gedanken und ich schäme mich, so etwas auch nur in Erwägung gezogen zu haben.
Er ist höflich zu ihr. So, wie zu allen anderen Lehrkräften auch.
Außerdem spricht das, was zwischen Kay und mir ist, oder zumindest anfängt, gegen meine irrigen Vorstellungen.
Und doch kann ich den Gedanken einfach nicht abschütteln, dass da etwas zwischen Miss Viola und Kay vorgeht.
Aber ich kriege es nicht zu fassen.
Wenn ich ganz genau hinsehe, muss ich zugeben, dass es nichts Sexuelles ist.
Miss Viola strahlt nicht etwa diese unterschwellige Anmache aus. Eher ist es so etwas in der Art wie … Mütterlichkeit?
Was wiederum überhaupt nicht zu ihrem Aussehen passt.
Menschenskinder, dafür kann sie ja nun wirklich nichts .
Außerdem, gestehe ich mir weiterhin ein, ist Miss Viola auch zu mir so fürsorglich.
Sie ist zu allen nett … aber fürsorglich ist sie nur zu mir … okay, und zu Kay.
Womit ich wieder am Anfang meiner Überlegungen bin.
Oder auch nicht.
Ich habe herausgefunden, dass sie Kay und mich den anderen Schülern vorzieht. Es ist nicht nur Kay, der ihre besondere Aufmerksamkeit und Fürsorge genießt, sondern auch ich.
Mit dem kleinen, aber feinen Unterschied, dass da irgendetwas vorgeht, das ich mir nicht erklären kann … aber ich fühle es, verflucht nochmal.
Solche Dinge habe ich immer schon gespürt. Weshalb auch immer?!
„Kim?“
Ich schrecke auf.
Scheiße! Ich sitze im Latein-Unterricht und träume. „Ent … entschuldigung, Miss Viola!“, stoße ich hervor und fühle, wie ich feuerrot anlaufe.
Ihr Lächeln ist so verständnisvoll, dass ich mich beherrschen muss, meine Gedankengänge nicht sofort wieder aufzunehmen.
Das ist gemein, Kim, und du weißt das auch! „Geht es dir gut?“, fragt sie und Kay sieht mich besorgt an.
„Mir … danke, es geht mir gut. Ich … wenn ich bitte kurz …“
Ich warte ihre Erlaubnis nicht ab, sondern stürze aus dem Klassenraum.
Schwer atmend und kurz vorm Hyperventilieren lehne ich mich mit dem Rücken an die Wand und lasse mich herabsinken.
Ich umfasse meine Knie mit beiden Händen uns presse meinen Kopf zwischen die Knie.
Jetzt ist mir schlecht.
Ich muss nicht aufsehen, um zu wissen, dass Kay da ist.
„Hey“, sagt er leise und lässt sich neben mich auf den Boden sinken.
Ich sehe ihn aus weit aufgerissenen
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