Der junge Seewolf
Leutnant Fincham war alt, grauhaarig und griesgrämig. Er bot ihnen keinen Platz an, geschweige denn ein Getränk und beantwortete ihre Meldung mit einem undefinierbaren Knurren.
»Wenn ich wieder an Bord komme, erwarte ich, daß Sie zur Begrüßung antreten. Seeleute an Bord sind für mich keine Passagiere, sondern werden in die Besatzung eingegliedert. Sie übernehmen Wachen und alle sonstigen Pflichten. Die schönen Tage der Prisenjagd im Süden sind vorbei. Jetzt können Sie mal den Alltag der Flotte kennenlernen. Wie haben Sie es übrigens geschafft, der Rebellenflotte auszuweichen?«
David und Hamond verstanden nicht, was er meinte.
»Nun, soeben hat der Admiral Nachricht erhalten, daß eine Flotte von sieben Rebellenschiffen Nassau auf den Bahamas geplündert hat und von dort am 17. März nach New London abgesegelt ist, wo sie Anfang April eingetroffen sein soll. Das war doch auch Ihre Route und Ihre Zeit?«
Beide versicherten wie aus einem Munde, daß die Shannon keine Flotte gesichtet habe.
»So, so«, äußerte Leutnant Fincham bedeutungsvoll, »die Sloop Glasgow mit ihren nur zwanzig Geschützen ist der feindlichen Flotte nicht aus dem Wege gegangen und hat sie tüchtig beharkt, bevor sie entkam.«
»Sir, wollen Sie damit andeuten …?« brauste Hamond auf.
Aber Fincham fiel ihm ins Wort: »Gar nichts will ich andeuten! Nehmen Sie sich mir gegenüber gefälligst nicht einen solchen Ton heraus, sonst gehen Sie gleich am ersten Tag doppelte Wache. Und jetzt treten Sie ab. Ihre Wacheinteilung wird Ihnen bekanntgegeben.«
Der Bootsmann sah ihre wütenden, empörten Gesichter und sagte: »Nehmen Sie es nicht tragisch, meine Herren. Mr. Fincham ist ein alter, kranker und verbitterter Mann. Die Gicht plagt ihn furchtbar, aber er kann den Dienst nicht quittieren, weil er jeden Penny braucht, um seine kranke Schwester in Liverpool zu unterstützen. Er ist nicht gut auf junge Herren von Fregatten zu sprechen, die die Taschen voller Prisengeld haben.«
»Wir werden an Ihre Worte denken, Mr. …«
»Serres, Sir«, fiel der Bootsmann ein.
»Also gut, Mr. Serres, aber wenn jeder Offizier seine Probleme an seinen Mitoffizieren und der Mannschaft auslassen würde, dann wäre die Flotte bald ein Tollhaus.«
Der alte Bootsmann sagte leise: »Erlauben Sie einem alten Mann die Bemerkung, meine Herren, daß Sie bisher auf einem sehr glücklichen Schiff gedient haben müssen.«
Das merkten nicht nur die beiden, sondern auch die Seeleute der Shannon in den nächsten Tagen. Sie waren auf einem glücklichen Schiff gesegelt. Jetzt erlebten sie zwar keine ›schwimmende Hölle‹, von der alte Fahrensleute immer wieder mit Entsetzen erzählten, aber ein Schiff, bei dem Trübsinn und Mißmut an jeder Planke zu kleben schienen.
Sie konnten Leutnant Fincham nichts recht machen. Immer wieder mäkelte er an ihnen herum und forderte süffisant, daß sie sich an den normalen Alltag der Flotte gewöhnen und dabei Zuverlässigkeit und Sorgfalt beweisen sollten.
David ließ er zwei Wachen nacheinander auf dem Ausguck ausharren, weil ein Knopf an seiner Jacke offen war. Hamond mußte 24 Stunden Wache gehen, weil ein Wischer in der von ihm betreuten Steuerbordbatterie Schmutzreste aufwies.
Einmal war David ein kleiner Triumph vergönnt. Mr. Fincham zweifelte seine Eintragung auf der Karte an und war überzeugt, daß sie Kap Canso schon achteraus gelassen und bei diesem Kurs bald auf Kap Argos auflaufen müßten. Als die Wolken kurz aufrissen, lag Kap Canso Backbord voraus. David blickte ostentativ schräg nach vorn, und der Leutnant brummelte nur vor sich hin.
Aber was man auch gegen Fincham sagen mochte, er war trotz dieses Irrtums ein erfahrener und guter Seemann. Er hatte dem Kapitän der Niger dazu geraten, durch die Straße von Canso und durch die Northumberland-Straße zu segeln, um den großen Eisfeldern im Golf des Sankt-Lorenz-Stroms zu entgehen.
Wie recht er hatte, erfuhren sie dann in Quebec von Kapitän Douglas, der sich mit der Iris durch die Eisfelder hatte kämpfen müssen und neun Tage eingeschlossen war. Nein, Fincham kannte den Sankt Lorenz.
Damit Eisschollen nicht den Rumpf beschädigten, standen Wachen mit Fendern und langen Stangen bereit. Am Bug hatte er eine Art gefütterter Schürze befestigen lassen. Zusätzlich hingen am Bugspriet einige dicke Hölzer, die schnell gefiert werden konnten, um den Aufprall zu mildern.
Eine angenehme Fahrt war es dennoch nicht. Das Schiff war überfüllt, und bis sie
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