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Der Junge

Der Junge

Titel: Der Junge
Autoren: J. M. Coetzee
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Haar ist ordentlich gekämmt, sein Barett nach Vorschrift unter die Schulterklappe geschoben. Wenn es nach ihm ginge, befände es sich auch auf dem Kaminsims.
      Vater und Mutter sind sich nicht einig, was die Deutschen betrifft. Der Vater mag die Italiener (sie waren nicht mit dem Herzen beim Kampf, sagt er; sie wollten nur kapitulieren und nach Hause gehen), doch er haßt die Deutschen. Er erzählt die Geschichte von einem Deutschen, der auf dem Klo sitzend erschossen wurde. Manchmal war er es, der in der Geschichte den Deutschen erschossen hat, manchmal einer seiner Freunde; aber in keiner der Versionen zeigt er das geringste Mitleid, nur Belustigung über die Verwirrung des Deutschen, der versucht hatte, die Hände zu heben und gleichzeitig die Hosen hochzuziehen.
      Seine Mutter weiß, daß es nicht geraten ist, die Deutschen zu offen zu preisen, doch manchmal, wenn er und sein Vater sich gegen sie verbünden, vergißt sie alle Vorsicht. »Die Deutschen sind das beste Volk der Erde«, sagt sie dann. »Es war dieser schreckliche Hitler, der soviel Leid über sie gebracht hat.«
      Ihr Bruder Norman ist nicht ihrer Meinung. »Hitler hat die Deutschen gelehrt, stolz auf sich zu sein«, sagt er.
      Die Mutter und Norman sind in den dreißiger Jahren zusammen durch Europa gereist, nicht nur durch Norwegen und das schottische Hochland, sondern auch durch Deutschland, Hitlers Deutschland. Ihre Familie – die Brechers, die du Biels – stammt aus Deutschland, oder zumindest aus Pommern, das jetzt zu Polen gehört. Ist es gut, aus Pommern zu stammen? Er weiß es nicht genau. Aber er weiß wenigstens, woher er kommt.
      »Die Deutschen wollten nicht gegen die Südafrikaner kämpfen«, sagt Norman. »Sie mögen die Südafrikaner. Wenn Smuts nicht gewesen wäre, hätten wir nie gegen Deutschland Krieg geführt. Smuts war ein skelm, ein Gauner. Er hat uns an die Briten verkauft.«
      Der Vater und Norman mögen sich nicht. Wenn der Vater seiner Mutter am Zeug flicken will, wenn sie sich spät nachts in der Küche streiten, ärgert er sie mit ihrem Bruder, der nicht eingerückt ist, sondern statt dessen mit der Ossewabrandwag marschiert ist. »Das ist eine Lüge!« behauptet sie ärgerlich.
      »Norman war nicht in der Ossewabrandwag. Frag ihn selbst, er wird es dir sagen.«
      Als er seine Mutter fragt, was die Ossewabrandwag ist, sagt sie, das sei nur Unfug, Leute, die Fackelumzüge auf den Straßen gemacht haben.
      Die Finger von Normans rechter Hand sind gelb vom Nikotin. Er wohnt in einem Hotelzimmer in Pretoria, und das schon seit Jahren. Er verdient sein Geld mit dem Verkauf einer Broschüre, die er über Jiu-Jitsu verfaßt hat, für die er in den Anzeigenseiten der Pretoria News wirbt. »Erlernen Sie die japanische Kunst der Selbstverteidigung«, heißt es in der Annonce. »Sechs einfache Lektionen.« Die Leute schicken ihm Postanweisungen über zehn Shilling, und er liefert ihnen dafür die Broschüre: eine einzelne, vierfach gefaltete Seite mit Zeichnungen von den verschiedenen Griffen. Wenn Jiu-Jitsu nicht genug einbringt, verkauft er auf Provisionsbasis Grundstücke für einen Makler. Bis mittags bleibt er jeden Tag im Bett, trinkt Tee, raucht und liest Geschichten in Argosy und Lilliput. Nachmittags spielt er Tennis. 1938, vor zwölf Jahren, war er der Sieger im Einzel der Westprovinz. Er hat immer noch den Ehrgeiz in Wimbledon zu spielen, im Doppel, wenn es ihm gelingt, einen Partner zu finden.
      Wenn Normans Besuch zu Ende geht, nimmt er den Neffen beiseite, ehe er nach Pretoria abreist, und steckt ihm einen braunen Zehn-Shilling-Schein in die Hemdtasche. »Für Eis«, murmelt er – jedes Jahr dieselben Worte. Er mag Norman nicht nur wegen des Geschenks – zehn Shilling sind viel Geld –, sondern auch, weil er daran denkt, weil er es nie vergißt.
      Der Vater versteht sich mit dem anderen Bruder, Lance, besser, dem Lehrer aus Kingwilliamstown, der eingerückt ist.
      Es gibt noch den dritten Bruder, den ältesten, der für den Verlust der Farm verantwortlich ist, doch keiner erwähnt ihn außer seiner Mutter. »Der arme Roland«, murmelt die Mutter und schüttelt den Kopf. Roland hat eine Frau geheiratet, die sich Rosa Rakosta nennt, Tochter eines polnischen Grafen im Exil, deren richtiger Name aber, laut Norman, Sophie Pretorius ist. Norman und Lance hassen Roland wegen der Farm und verachten ihn, weil er unter der Fuchtel von Sophie steht.
      Roland und Sophie haben eine Pension in
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