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Der Junge

Der Junge

Titel: Der Junge
Autoren: J. M. Coetzee
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Kapstadt. Er ist einmal mit seiner Mutter dort gewesen. Sophie entpuppte sich als große, dicke blonde Frau, die vier Uhr nachmittags einen Satinmorgenmantel trug und Zigaretten in einer Zigarettenspitze rauchte, Roland als stiller Mann mit traurigem Gesicht und einer roten Beulennase durch die Bestrahlung, die ihn vom Krebs geheilt hatte.
      Es gefällt ihm, wenn der Vater, die Mutter und Norman politische Streitgespräche führen. Die Erregung und Leidenschaft machen ihm Spaß, die unbesonnenen Äußerungen. Es überrascht ihn, daß er seinem Vater rechtgeben muß, demjenigen, dem er den Sieg am wenigsten gönnt –, daß die Engländer gut waren und die Deutschen böse, daß Smuts gut war und die Nationalisten böse sind.
      Sein Vater ist für die Einheitspartei, sein Vater mag Kricket und Rugby, doch er kann seinen Vater nicht leiden. Diesen Widerspruch versteht er nicht, hat aber kein Interesse daran, ihn zu verstehen. Sogar ehe er seinen Vater kannte, das heißt, ehe sein Vater aus dem Krieg zurückkehrte, hatte er beschlossen, ihn nicht leiden zu können. Dieses Mißfallen ist also gewissermaßen ein abstraktes: Er möchte keinen Vater haben, oder er will wenigstens keinen Vater, der im selben Haus wohnt.
      Was er an seinem Vater am meisten haßt, sind seine Gewohnheiten. Er haßt sie so sehr, daß der bloße Gedanke an sie ihn vor Abscheu schaudern läßt: das laute Naseschnauben am Morgen im Bad, den dampfigen Geruch nach Lifebuoy-Seife, den er hinterläßt, zusammen mit einem Schaum- und Haarrand im Waschbecken vom Rasieren. Am allermeisten haßt er den Geruch seines Vaters. Andererseits gefallen ihm wider Willen die flotten Sachen seines Vaters, das kastanienbraune Tuch, das er statt einer Krawatte samstagmorgens trägt, seine propere Gestalt, sein forscher Gang, sein mit Brillantine gestriegeltes Haar. Auch er benutzt Brillantine und kultiviert eine Tolle.
      Er haßt den Friseurbesuch, er haßt ihn so sehr, daß er sogar versucht, sich selbst das Haar zu schneiden, mit erbärmlichen Resultaten. Die Friseure von Worcester scheinen übereingekommen zu sein, daß Jungen kurzes Haar haben sollten. Die Sitzungen beginnen so brutal wie möglich damit, daß der elektrische Haarschneider sein Haar hinten und an den Seiten wegsäbelt, und es geht weiter mit gnadenlosem Geschnippel der Schere, bis nur noch bürstenähnliche Stoppeln übrigbleiben, vielleicht vorn mit einer rettenden Schmachtlocke. Noch ehe die Prozedur fertig ist, windet er sich vor Scham; er zahlt seinen Shilling und rennt nach Hause, voller Angst vor der Schule am nächsten Tag, voller Angst vor dem rituellen Hohn, mit dem jeder Junge mit frisch geschnittenen Haaren begrüßt wird. Es gibt ordentliche Haarschnitte, und dann gibt es die Haarschnitte, die man in Worcester erleidet, geprägt von der Boshaftigkeit der Friseure; er weiß nicht, wo man hingehen muß, was man tun oder sagen muß, wieviel man zahlen muß, um einen ordentlichen Haarschnitt zu bekommen.

Sechs
    Obwohl er jeden Samstagnachmittag ins Kino geht, fesseln ihn die Filme nicht mehr so wie damals in Kapstadt, wo ihn Alpträume verfolgten, in denen er unter Fahrstühlen zerquetscht wurde oder von Felsen stürzte, wie die Serienhelden. Er weiß nicht, warum Errol Flynn, der immer gleich aussieht, ob er nun Robin Hood oder Ali Baba spielt, ein großer Schauspieler sein soll. Er hat Verfolgungsjagden zu Pferde satt, die immer das gleiche sind. Die Drei Stooges wirken allmählich einfältig. Und es ist schwer, an Tarzan zu glauben, wenn Tarzan immer von einem anderen gespielt wird.
      Der einzige Film, der Eindruck auf ihn macht, ist der, in dem Ingrid Bergman in einen Waggon einsteigt, der mit Pocken infiziert ist, und stirbt. Ingrid Bergman ist die Lieblingsschauspielerin seiner Mutter. Ist denn das Leben so – könnte seine Mutter jederzeit sterben, nur weil sie ein Schild in einem Fenster übersehen hat?
      Dann gibt es noch das Radio. Für die Kinderstunde ist er zu groß, doch den Serien bleibt er treu: Superman jeden Tag um fünf (»Up! Up and Away!«), Mandra, der Zauberer um halb sechs. Seine Lieblingsgeschichte ist »Die Schneegans« von Paul Gallico, die der A-Sender auf allgemeinen Wunsch immer wieder ausstrahlt. Das ist die Geschichte einer Wildgans, die den Schiffen den Weg vom Strand von Dünkirchen zurück nach Dover zeigt. Er lauscht mit Tränen in den Augen. Eines Tages möchte er so treu sein wie die Schneegans. Sie bringen Die Schatzinsel in einer
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