Der Junge
einer langen Bahnfahrt an. Wolken jagten über den Himmel, die Sonne hatte keine Wärme. Unter dem frostigen Winterlicht breitete das Veld ein dunkles Rotblau ohne einen Hauch von Grün aus. Selbst das Farmhaus wirkte abweisend – ein strenges weißes Rechteck mit einem steilen Zinkblechdach. Es war überhaupt nicht wie Voelfontein; er wollte am liebsten wieder weg.
Agnes, ein paar Monate älter als er, war ihm als Spielgefährtin zugeteilt worden. Sie nahm ihn auf einen Spaziergang ins Veld mit. Sie lief barfuß; sie besaß gar keine Schuhe. Bald sahen sie das Haus nicht mehr, waren am Ende der Welt. Sie fingen zu reden an. Sie hatte Rattenschwänze und lispelte, was ihm gefiel. Bald wurde er zutraulicher. Beim Sprechen vergaß er, welche Sprache er benutzte; Gedanken formten sich einfach in ihm zu Worten, klaren Worten.
Was genau er Agnes an jenem Nachmittag mitgeteilt hat, weiß er nicht mehr. Doch er erzählte ihr alles, alles, was er so machte, was er wußte, worauf er hoffte. Schweigend nahm sie alles auf. Noch beim Reden wußte er, daß das ein besonderer Tag war, ihretwegen.
Die Sonne sank allmählich, feuerrot, doch eisig. Die Wolken wurden dunkler, der Wind schärfer, er drang ihm durch die Kleidung. Agnes hatte außer einem dünnen Baumwollkleid nichts an; ihre Füße waren blau vor Kälte.
»Wo seid ihr gewesen? Was habt ihr gemacht?« fragten die Erwachsenen, als sie zum Haus zurückkehrten. »Niks nie«, antwortete Agnes. Nichts.
Hier auf Voelfontein darf Agnes nicht auf die Jagd, aber es steht ihr frei, mit ihm im Veld umherzuwandern oder Frösche im großen Wasserbecken zu fangen. Mit ihr zusammenzusein ist etwas anderes, als wenn er mit seinen Schulfreunden zusammen ist. Das hat etwas mit ihrer Sanftheit zu tun, mit ihrer Bereitschaft zum Zuhören, aber auch mit ihren schlanken braunen Beinen, mit der Art, wie sie von Stein zu Stein tanzt.
Er ist klug, er ist der Klassenerste; auch sie gilt als klug; sie streifen umher und reden von Dingen, über die die Erwachsenen den Kopf schütteln würden: Ob das Universum einen Anfang hat; was hinter dem Pluto, dem dunklen Planeten, liegt; wo Gott ist, wenn es ihn gibt.
Warum kann er so leicht zu Agnes sprechen? Weil sie ein Mädchen ist? Auf alles, was von ihm kommt, scheint sie ohne Vorbehalt, sanft, bereitwillig zu antworten. Sie ist seine Cousine ersten Grades, deshalb können sie sich nicht verlieben und heiraten. In gewisser Weise ist das eine Erleichterung; er ist frei, mit ihr befreundet zu sein, ihr sein Herz zu öffnen.
Aber ist er trotzdem in sie verliebt? Ist das Liebe – diese schlichte Großzügigkeit, dieses Gefühl, daß man ihn endlich versteht, daß er nichts vorspielen muß?
Diesen ganzen Tag und auch den ganzen nächsten arbeiten die Scherer, machen kaum eine Eßpause, stacheln einander zum Wettbewerb auf, wer von ihnen der Schnellste ist. Am Abend des zweiten Tages ist die ganze Arbeit getan, jedes Schaf auf der Farm ist geschoren. Onkel Son bringt einen Leinenbeutel mit Banknoten und Münzen heraus, und jeder Scherer wird nach der Anzahl seiner Bohnen bezahlt. Dann gibt es wieder ein Lagerfeuer, wieder ein Fest. Am nächsten Morgen sind sie fort, und die Farm kann zu ihrer alten, gemächlichen Lebensart zurückkehren.
Es sind so viele Wollballen, daß sie aus den Schuppen quellen. Onkel Son geht mit einer Schablone und einem Stempelkissen von einem zum anderen und malt auf jeden Ballen seinen Namen, den Namen der Farm, die Güteklasse der Wolle. Tage später kommt ein großer Lastwagen (wie ist der durch das Sandbett des Boesmansflusses gekommen, wo selbst Autos steckenbleiben?), die Ballen werden aufgeladen und weggefahren.
Das geschieht jedes Jahr. Jedes Jahr kommen die Scherer, jedes Jahr gibt es dieses Abenteuer, dieses aufregende Ereignis. Es wird nie ein Ende haben; es gibt keinen Grund, warum es je ein Ende haben sollte, solange es Jahre gibt.
Das heimliche und heilige Wort, das ihn mit der Farm verbindet, heißt gehören. Draußen im Veld kann er das Wort laut äußern: Ich gehöre auf die Farm. Was er wirklich glaubt, aber nicht ausspricht, was er für sich behält, aus Angst, daß der Zauber endet, ist eine andere Form dieses Wortes: Ich gehöre zur Farm.
Er sagt es niemandem, weil das so leicht falsch verstanden, so leicht umgekehrt werden kann: Die Farm gehört zu mir. Die Farm wird ihm niemals gehören, er wird nie mehr als ein Besucher sein – das akzeptiert er. Der
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