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Der Junge

Der Junge

Titel: Der Junge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. M. Coetzee
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Gedanke, wirklich auf Voelfontein zu leben, das große alte Haus sein Zuhause zu nennen, nicht länger um Erlaubnis fragen zu müssen, daß er tun darf, was er will, macht ihn schwindlig; er schiebt den Gedanken beiseite. Ich gehöre zur Farm – weiter wagt er nicht zu gehen, selbst im innersten Herzen. Aber im innersten Herzen weiß er, was die Farm auf ihre Art auch weiß: daß Voelfontein niemandem gehört. Die Farm ist größer als sie alle. Die Farm existiert von Ewigkeit zu Ewigkeit. Wenn sie alle tot sind, wenn selbst das Farmhaus verfallen ist wie die Krale auf dem Berg, wird die Farm noch da sein.
      Einmal bückt er sich weit weg vom Haus draußen im Veld und reibt die Handflächen im Staub, als wasche er sie. Es ist rituell. Er schafft ein Ritual. Er weiß noch nicht, was das Ritual bedeutet, aber er ist erleichtert, daß keiner da ist, der ihn beobachten und verraten könnte.
      Daß er zur Farm gehört, ist sein heimliches Los, ein durch Geburt bestimmtes Los, das er aber freudig annimmt. Sein anderes Geheimnis ist, er mag sich noch so sehr dagegen sträuben, er gehört doch zu seiner Mutter. Es entgeht ihm nicht, daß diese doppelte Hörigkeit Konflikte mit sich bringt.
      Und es entgeht ihm auch nicht, daß der Einfluß seiner Mutter auf der Farm am schwächsten ist. Da sie als Frau nicht jagen kann, nicht einmal im Veld wandern kann, ist sie auf der Farm im Nachteil.
      Er hat zwei Mütter. Zweimal geboren: von einer Frau geboren und von der Farm geboren. Zwei Mütter und keinen Vater.
      Eine halbe Meile vom Farmhaus entfernt gabelt sich die Straße, der linke Abzweig führt nach Merweville, der rechte nach Fraserburg. An der Gabelung liegt der Friedhof, ein umzäuntes Stück Land mit eigenem Tor. Der marmorne Grabstein seines Großvaters überragt alles; darum herum drängen sich ein Dutzend andere Gräber, flacher und schlichter, mit Grabsteinen aus Schiefer, einige tragen eingemeißelte Namen und Daten, andere sind ohne Inschrift.
      Sein Großvater ist hier der einzige Coetzee, der einzige, der gestorben ist, seit die Farm im Familienbesitz ist. Hier endete er, der Mann, der als Hausierer in Piketberg anfing, dann ein Geschäft in Laingsburg aufmachte und Bürgermeister der Stadt wurde, dann das Hotel in Fraserburg Road kaufte. Er liegt im Grab, doch die Farm gehört noch immer ihm. Seine Kinder laufen wie die Zwerge auf ihr herum, und die Enkel wie Zwergenkinder.
      Auf der anderen Straßenseite ist ein zweiter Friedhof ohne Zaun, wo einige der Grabhügel so verwittert sind, daß der Erdboden sie wieder aufgenommen hat. Hier liegen die Diener und Knechte der Farm, bis zurück zu Outa Jaap und weit über ihn hinaus. Die wenigen Grabsteine, die noch aufrecht stehen, sind ohne Namen oder Daten. Aber hier spürt er größere Ehrfurcht als zwischen den Generationen der Botes-Familie, die sich um seinen Großvater drängen. Es hat nichts mit Geistern zu tun. In der Karoo glaubt niemand an Geister. Was hier stirbt, stirbt sicher und endgültig – das Fleisch wird von den Ameisen abgenagt, die Knochen werden von der Sonne gebleicht, und basta. Aber zwischen diesen Gräbern tritt er vorsichtig auf. Aus der Erde steigt eine große Stille, so tief, daß sie beinahe ein Summen sein könnte.
      Wenn er stirbt, möchte er auf der Farm begraben werden.
      Wenn sie das nicht zulassen, dann möchte er eingeäschert werden, und seine Asche soll hier verstreut werden.
      Der andere Ort, zu dem er jedes Jahr pilgert, ist Bloemhof, wo das erste Farmhaus gestanden hat. Davon ist nichts geblieben außer den Grundmauern, die uninteressant sind.
      Davor befand sich einst ein Wasserreservoir, gespeist von einer unterirdischen Quelle; doch die Quelle ist lange schon versiegt. Vom Garten und Obstgarten, die es einmal hier gegeben hat, zeugt nichts mehr. Aber neben der Quelle wächst aus der kahlen Erde eine riesige, einsame Palme. Im Stamm dieses Baumes haben Bienen sich ein Nest gebaut, angriffslustige kleine schwarze Bienen. Der Palmstamm ist geschwärzt vom Rauch der Feuer, die Menschen über Jahre hinweg angezündet haben, um die Bienen ihres Honigs zu berauben; doch die Bienen bleiben und sammeln Nektar, wer weiß wo in dieser trockenen, grauen Landschaft.
      Er hätte es gern, wenn die Bienen erkennen würden, daß er bei seinen Besuchen mit reinen Händen kommt, nicht um sie zu bestehlen, sondern um sie zu begrüßen, ihnen seinen Respekt zu erweisen. Aber als er sich der Palme nähert, beginnen sie

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