Der Junker von Ballantrae
etwas bestürzt. »Aber natürlich«, sagte er, »wie dumm von mir, selbstverständlich!«
Aber er hielt den Brief immer noch hin.
Schließlich streckte Mr. Henry seine Hand aus, und es blieb ihm nichts anderes übrig, als ihm den Brief zu überreichen. Mr. Henry nahm die Briefe, den ihren und den seinen, und blickte auf den Umschlag, mit stark gerunzelter Stirn, als ob er nachdenke. Er hatte mich durch sein ausgezeichnetes Benehmen während der ganzen Zeit überrascht, aber jetzt sollte er sich selbst übertreffen.
»Gestatte mir, daß ich dich zu deinem Zimmer geleite«, sagte er zu seiner Frau.
»Alles das hat uns aufs äußerste überrascht, und jedenfalls willst du deinen Brief allein lesen.«
Wieder blickte sie ihn an, als ob sie ihn bewunderte, aber er ließ ihr keine Zeit, sondern schritt geradeswegs auf sie zu. »Es ist besser so, glaube mir«, sagte er, »und Oberst Burke wird dich ohne Zweifel entschuldigen.« Dann nahm er ihre Fingerspitzen und führte sie aus der Halle.
Mrs. Henry kam an diesem Abend nicht mehr zurück, und als Mr. Henry sie am nächsten Morgen aufsuchte, übergab sie ihm den noch ungeöffneten Brief, wie ich lange nachher hörte.
»Lies ihn doch und damit basta!« soll er ausgerufen haben.
»Erspare es mir!« antwortete sie.
Durch diese Worte vernichteten beide nach meiner Ansicht sehr viel von dem, was sie vorher gutgemacht hatten. Aber der Brief kam tatsächlich in meine Hände und wurde von mir uneröffnet verbrannt.
*
Um die Abenteuer des Junkers nach der Schlacht von Culloden getreu zu berichten, schrieb ich vor nicht langer Zeit an Oberst Burke, jetzt Ritter des Ordens vom Heiligen Ludwig, und bat ihn um einige schriftliche Unterlagen, da ich mich nach so langer Zeit nicht mehr auf mein Gedächtnis verlassen könne. Um die Wahrheit zu gestehen, war ich über seine Antwort einigermaßen bestürzt, denn er sandte mir die vollständigen Erinnerungen seines Lebens, die sich nur teilweise auf den Junker bezogen. Sie waren viel umfangreicher als meine ganze Geschichte und nicht überall, wie mir scheinen will, zur Erbauung geeignet. Er bat mich in dem Begleitschreiben, das aus Ettenheim datiert war, ich möchte einen Verleger ausfindig machen für die ganze Niederschrift, wenn ich sie nach meinem Belieben verwandt hätte, und ich denke, daß ich meinen eigenenZwecken am besten diene, und seine Wünsche gleichzeitig erfülle, wenn ich bestimmte Stellen vollständig abdrucke. Auf diese Weise erhalten meine Leser einen ins einzelne gehenden und, wie ich glaube, sehr lichtvollen Bericht über manche wesentlichen Dinge. Wenn irgendein Verleger Interesse nimmt an der Erzählungsweise des Ritters, weiß er, an wen er sich wegen der Niederschrift zu wenden hat, von der noch viel zu seiner Verfügung stünde. Ich füge hier meinen ersten Auszug ein und setze ihn an die Stelle des Berichtes, den uns der Ritter beim Wein in der Halle von Durrisdeer erstattete, aber man hat recht, wenn man vermutet, daß er meinem Lord nicht die grausamen Tatsachen erzählte, sondern eine stark gefärbte Darstellung gab.
Drittes Kapitel: Die Irrfahrten des Junkers (Aus den Memoiren des Chevalier de Burke)
Ich verließ Ruthven, wie ich kaum zu bemerken brauche, mit weit größerer Genugtuung, als wie ich gekommen war, aber ob ich nun meinen Weg in den Einöden verlor, oder ob meine Kameraden mich verließen: bald fand ich mich allein. Das war eine sehr unangenehme Lage, denn ich habe dies wüste Land und unkultivierte Volk nie begriffen, und der letzte Streich, den uns der Prinz mit seinem Rückzug spielte, hatte uns bei den Irländern noch unbeliebter als zuvor gemacht. Ich dachte über meine schlechten Aussichten nach, als ich einen zweiten Reiter oben auf dem Hügel sah, den ich zuerst für ein Gespenst hielt, da ganz allgemein in der Armee angenommen wurde, er sei in vorderster Front bei Culloden gefallen. Es war der Junker von Ballantrae, Sohn des Lord Durrisdeer, ein junger Edelmann von außergewöhnlicher Tapferkeit und Begabung, der von Natur aus berufen war, bei Hof zu glänzen und soldatische Lorbeeren zu ernten. Unsere Begegnungwar um so angenehmer für uns beide, als er einer der wenigen Schotten war, der die Irländer anständig behandelt hatte, und der mir nun sehr große Dienste leisten konnte auf meiner Flucht. Was jedoch unsere Freundschaft im besonderen begründete, war ein Geschehnis, das an sich so romantisch war wie irgendeine Legende über König Arthur.
Es war am zweiten Tage
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