Der Junker von Ballantrae
verlegen«, antwortete er, »so richten Sie sich doch selbst danach.«
Ein heftiger Windstoß kam herauf von der offenen Solwaybucht, und der Regen klatschte gegen die großen Fenster.
»Wißt Ihr, was das bedeutet, Kerlchen?« sagte er in breitem schottischem Dialekt. »Ein gewisser Mackelar wird furchtbar seekrank werden!«
Als ich auf meinem Zimmer war, saß ich dort in qualvoller Erregung und lauschte auf das Getöse des Sturmes, der mit voller Kraft gegen diesen Flügel des Hauses anraste. Ich war niedergedrückt und mutlos, der Wind stöhnte unheimlich in den Turmzinnen, die Mauern des Hauses erzitterten, der Schlaf floh meine Augen. Ich saß bei der Kerze, blickte die schwarzenFensterscheiben an, durch die der Sturm ständig hereinzubrechen schien, und auf der leeren Fläche sah ich die kommenden Ereignisse auftauchen, daß mir die Haare zu Berge standen. Ich sah das Kind verdorben, das Haus zerrüttet, meinen Herrn tot oder schlimmer als tot, meine Herrin in Verlassenheit gestürzt: alles das sah ich in leuchtenden Farben vor mir in der Finsternis, und das Heulen des Sturmes schien meine Energielosigkeit zu verspotten.
Neuntes Kapitel: Mr. Mackellars Reise mit dem Junker
Der Wagen kam in stark nässendem Nebel zur Tür. Wir nahmen schweigend Abschied, das Haus Durrisdeer stand geschlossen da mit tropfenden Läden und Fenstern wie ein Ort, der der Trauer geweiht ist. Ich sah, wie der Junker seinen Kopf herausstreckte und zu den nassen Wänden und schimmernden Dächern zurückblickte, bis sie plötzlich vom Nebel aufgesogen wurden. Ich glaube, daß eine natürliche Traurigkeit diesen Menschen bei der Abreise überfiel – oder war es eine Vorahnung des Endes? Als wir schließlich den langen Abhang von Durrisdeer aus hinanstiegen und Seite an Seite auf der feuchten Erde gingen, begann er zuerst zu pfeifen und dann das traurigste aller Volkslieder zu singen, die »Irrfahrten Willies«, ein Lied, bei dem die Leute in den Wirtschaften weinen. Die Worte, die er benutzte, habe ich sonst nie gehört. Ich habe auch keine Abschrift davon erhalten können, aber einige, die zuunserer Abreise sehr gut paßten, haften in meinem Gedächtnis. Ein Vers begann:
»Ach, damals war Heimat noch Heimat, Liebster,
Und freundliche Gesichter ringsum.
Damals war Heimat noch Heimat, Liebster,
Und Glück für unser Kind.«
Und er endete ungefähr so:
»Wenn jetzt der Tag graut über dem braunen Moor,
Steht das Haus einsam und der Herd kalt.
Laß es stehen, denn die Freunde sind fort,
Die guten Herzen, die treuen Herzen, deren Liebe uns galt.«
Ich kann die Güte dieser Verse nicht beurteilen, sie wurden aufgesogen von der Melancholie der Luft und mir von einem Meistersinger im geeigneten Augenblick vorgesungen oder vielmehr vorgesummt. Er blickte mir ins Gesicht, als er geendet hatte, und sah, daß meine Augen feucht waren.
»Ach, Mackellar«, sagte er, »denken Sie, daß ich nie Reue empfinde?«
»Ich glaube nicht, daß Sie ein so schlechter Mensch sein könnten«, sagte ich, »wenn Sie nicht alle Anlagen dazu hätten, ein guter zu sein.«
»Nein, nicht alle«, antwortete er, »nicht alle. Sie befinden sich in einem Irrtum. Die Krankheit des Nichtwollens, mein Evangelist!«
Aber mir schien, daß er seufzte, als er wieder in den Wagen stieg.
Den ganzen Tag fuhren wir in demselben Wetter, der Nebel drang von allen Seiten auf uns ein, der Himmel weinte unaufhörlich auf mein Haupt. Der Weg führte über Moorhügel, wo kein Laut zu hören war als das Schreien der Birkhühner in der feuchten Heide und das Rauschen der angeschwollenen Bäche. Manchmal versank ich in Schlummer, aber verfiel sofort in widerliche und schreckliche Träume, aus denen ich angstverstört erwachte. Manchmal, wenn der Pfad steil war und die Räder sich langsam drehten, konnte ich die Stimmen im Wageninnern hören, die in jenem tropischen Dialekt redeten, der mir ebenso unverständlich war wie das Geschrei der Vögel. Bisweilen, bei größeren Hügeln, stieg der Junker aus und ging neben mir, meistens ohne zu sprechen. Und während der ganzen Zeit hatte ich schlafend oder wachend die gleiche finstere Vorahnung kommenden Unglücks. Dieselben Bilder stiegen wieder vor mir auf, nur daß sie jetzt in den Nebel der Hügellandschaft gemalt waren. Das eine stand, wie ich mich erinnere, vor mir in den Farben echter Illusion. Es zeigte mir den Lord, wie er in einem kleinen Zimmer am Tisch saß, er hob langsam seinen Kopf, den er vorher in die Hände vergraben
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