Der Junker von Ballantrae
und wenn ich meine Beute erreicht habe, will ich einen Keil in die Familie treiben, der sie von neuem zersplittert. Dann werde ich sehen, ob Lord Durrisdeer«, er sagte das mit unglaublicher Verachtung und Wut, »meine Abreise erkaufen wird, und Sie werden sehen, wie ich mich dann entscheide: für Geldgewinn oder für Rache!«
Ich war entsetzt, den Mann so offen sprechen zu hören. In Wahrheit war er außer sich vor Ärger über die erfolgreiche Flucht des Lords, fühlte sich selbst als genasführt und war deshalb nicht in der Stimmung, seine Zunge zu beherrschen.
»Halten Sie das für durchaus klug?« sagte ich, indem ich seine eigenen Worte brauchte.
»Zwanzig Jahre habe ich mit meiner armseligen Klugheit gelebt«, antwortete er mit einem Lächeln, das in seiner Eitelkeit fast töricht aussah.
»Um schließlich als Bettler zu enden«, erwiderte ich, »wenn das Wort Bettler genügend bezeichnend ist.«
»Ich bitte Sie zu beachten, Mr. Mackellar«, schrie er plötzlich herrisch und hitzig, was ich nur bewundern konnte, »daß ich peinlich höflich bin. Ahmen Sie mir darin nach, dann werden wir uns besser verstehen!«
Während dieser ganzen Unterredung empfand ich es als unbequem, von Secundra Daß beobachtet zu werden. Niemand von uns hatte seit dem ersten Wort auch nur einen Bissen gegessen. Unsere Augen brannten ineinander, sie durchbohrten des anderen Gesicht, ja man kann sagen, sein Herz, und die des Inders beunruhigten mich durch ihr wechselndes Aufleuchten, als ob er unser Gespräch verstände. Aber ich verwarf das als Einbildung und sagte mir von neuem, daß er Englisch nicht verstehe und nur aus dem Ernst der beiden Stimmen und der gelegentlichen zornigen Erregung des Junkers schließen könne, daß sich etwas wichtiges zutrage.
Ungefähr drei Wochen lang lebten wir auf diese Weise zusammen auf Haus Durrisdeer: der Anfang jener höchst sonderbaren Periode meines Lebens, die ich meine Vertrautheit mit dem Junker nennen muß. Zunächst war er ziemlich schwankend in seinem Benehmen, bald höflich, bald grob wie in früheren Tagen, und in beiden Fällen kam ich ihm auf halbem Wege entgegen. Der Vorsehung sei Dank, daß ich mich gegenüber diesem Menschen nicht mehr zusammenzunehmenbrauchte, und ich habe mich nie vor Stirnfalten gefürchtet, sondern nur vor gezogenen Schwertern. Auf diese Weise empfand ich ein gewisses Vergnügen bei solchen Ausbrüchen der Unhöflichkeit und war in meinen Erwiderungen nicht immer geistlos. Schließlich – es war beim Abendessen – fand ich einen launigen Ausdruck, der ihn völlig überwältigte. Er lachte wieder und wieder und rief aus: »Wer hätte vermuten können, daß dies alte Weib unter ihren Röcken so viel Witz verborgen hielt?«
»Es ist kein Witz, Mr. Bally«, sagte ich, »es ist trockener schottischer Humor, und zwar der trockenste, den es gibt.« Und wirklich habe ich niemals im geringsten vorgegeben, daß ich ein witziger Mensch sei.
Seit dieser Stunde war er nie wieder grob zu mir, wir verkehrten nun gewissermaßen liebenswürdig miteinander. Am humorvollsten war es, wenn er mich um ein Pferd, eine Flasche Wein oder etwas Geld bat. Dann näherte er sich mir wie ein Schuljunge, und ich tat so, als ob ich sein Vater sei. Wir waren beide unendlich fröhlich dabei, und ich mußte glauben, daß er mich jetzt höher schätzte, was meiner Eitelkeit, dieser armseligen Menscheneigenschaft, schmeichelte. Vielleicht unbewußt verfiel er nicht nur in einen familiären, sondern sogar freundschaftlichen Ton, und ich fand das bei einem Menschen, der mich solange verabscheut hatte, um so verfänglicher. Er ging wenig nach draußen, und lehnte manchmal sogar Einladungen ab. »Nein«, pflegte er zu sagen, »was gehen mich diese dickköpfigen Bauernschädel an? Ich will zu Hause bleiben, Mackellar,wir wollen friedlich zusammen eine Flasche trinken und uns angenehm unterhalten«. Und wirklich wären die Mahlzeiten auf Durrisdeer wegen unserer glänzenden Wechselreden für jedermann eine Freude gewesen. Er gab oft seiner Verwunderung Ausdruck über seine frühere Gleichgültigkeit mir gegenüber. »Aber sehen Sie«, pflegte er hinzuzufügen, »wir gehörten feindlichen Parteien an. Auch heute ist es so, aber darüber wollen wir nicht reden. Ich würde schlechter von Ihnen denken, wenn Sie Ihrem Herrn gegenüber nicht korrekt wären.« Man muß bedenken, daß er mir völlig unfähig erschien zur Anstiftung irgendeines Unheils, und daß es eine große Schmeichelei bedeutete,
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