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Der Kaefig - Roman

Der Kaefig - Roman

Titel: Der Kaefig - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Laymon
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grünen Augen auf das Stuhlbein in Eds Hand. »Sie wird sich wahrscheinlich eine Pistole besorgen und … tja, das war’s dann für uns beide.«
    »O Mann. Ich hab einfach nicht nachgedacht … Virginia, ich bin ein Trottel. Aber ich war so davon überzeugt. Ich dachte, ich hätte einen Ausweg gefunden.«
    Virginia sah ihm in die Augen. »Ed. Ich sage nicht, du sollst es nicht tun. Ich wollte nur erwähnen, dass es vielleicht anders ausgeht, als du dir vorstellst. Aber …«
    »Aber?«

    »Aber wenn du es trotzdem machen willst, dann lass dich nicht aufhalten.«
    »Du meinst, um wenigstens eine der Schlampen zu erledigen?«
    Virginia nickte. »Und wer weiß, vielleicht verletzt du unsere Sexherrin so übel, dass ihre Freundin in Panik gerät und wegrennt.«
    »Dann sitzen wir hier drin und verhungern.«
    Virginia zuckte leicht mit den Schultern. »Man kann nicht unbedingt davon ausgehen, dass sich alles zum Guten wendet. Aber vielleicht haben wir ja Glück. Die Sexherrin könnte die Schlüssel für die Käfige dabeihaben. Dann sind wir frei wie Vögel.«
    »Also sind wir uns einig?« Er drückte mit dem Daumen vorsichtig auf die tödliche Spitze des Stuhlbeins. »Auch wenn es vielleicht nicht hundertprozentig klappt?«
    »Zieh es durch, Ed. Wir haben sowieso nicht mehr viel zu verlieren.«

51
    Es ist jemand da draußen, sagte sich April mit wachsender Verwunderung. Jemand kommt durch den Wald zum Haus.
    Durch ihre Blindheit hatte sie einen außerordentlich scharfen Gehörsinn entwickelt. Sie hörte den Nachtwind durch den Canyon rauschen und mit den Bäumen spielen. Wenn sie in der entsprechenden Stimmung war, verstärkte das Geräusch noch ihre Einsamkeit. Aber jetzt versetzte es sie in freudige Erregung.
    Es schien April zuzuflüstern: »Er ist da, er ist da, er ist da.«
    Mein Retter kommt.
    Jemand, der die Einsamkeit vertreibt.
    Sie legte den Kopf zur Seite und spürte, wie der Wind durch ihr langes Haar fuhr. Er streichelte ihren Hals und zupfte am Saum ihres Nachthemds, so dass ein herrlicher Schauder an ihren Schenkeln emporkroch.
    April konzentrierte sich darauf, die einzelnen Geräusche auseinanderzuhalten.
    Der Schrei eines Vogels.
    Die Brise in den Zweigen. Das Ächzen eines Baumstamms. Raschelndes Gras. Das Flüstern des Winds in den Topfpflanzen.
    Während sie auf der Dachterrasse stand, mit den Händen auf der Mauer, hinter der acht Meter unter ihr die
Zufahrt lag, nahm ihr Gehör ein anderes leises Geräusch wahr. Ein rhythmisches Knirschen.
    Schritte näherten sich über die gekieste Straße dem Haus. Es war ein leichtfüßiger Gang, der aber etwas Entschlossenes an sich hatte. Sie strich sich die Haare aus dem Gesicht und drehte ein wenig den Kopf, um besser hören zu können.
    Manchmal konnte sie sogar den Atem eines Besuchers wahrnehmen. Gelegentlich fing sie auch seinen Geruch auf. Aber nicht in dieser Nacht. Der Wind war zu stark. Er wehte den Geruch des Ankömmlings den Canyon hinab, ehe er Aprils empfindliche Nase erreichte.
    April versuchte, sich ihren Besucher vorzustellen. Wegen des leichten Schritts dachte sie an einen jungen schlanken Menschen.
    Auch wenn sie sich kein Bild von seinem Aussehen machen konnte, war sie sich einer Sache sicher: Er würde wunderbar sein. Ein guter Geist hatte ihn hergeführt, um ihrer Einsamkeit ein Ende zu setzen.
    Das Krk-Krk der Füße auf dem Kies wurde lauter.
    April Vallsarra wartete. Er würde gleich da sein. Gleich …
    Dann endeten die Schritte. Sie hörte nur noch den Wind in den Bäumen flüstern und seufzen.
    Ihr Besucher – ihr Retter – stand vermutlich dort unten in dem magischen Leuchten, das sehende Menschen Mondlicht nannten.
    April wartete weiter. Sie war geduldig. Sie hatte das Gefühl, dass ihr Besucher nervös oder sogar ängstlich war. Deshalb wollte sie nichts sagen, womit sie ihn verschrecken könnte. Vielleicht hatte er Tage gebraucht, um den Mut zu finden, mitten in der Nacht zu diesem abgelegenen Haus zu gehen.

    Also, ganz ruhig und entspannt bleiben.
    Lass dir Zeit.
    Keine Hektik.
    Er soll sich willkommen fühlen.
    Sie lächelte in seine Richtung, auch wenn sie nur ahnen konnte, wo er stand. Jedenfalls musste er ganz in der Nähe sein. Sie hörte, wie sich Steine unter seinen Füßen bewegten, als er das Gewicht verlagerte.
    Dann schien er still dazustehen und zu ihr heraufzusehen. Vielleicht traute er sich nicht, etwas zu sagen.
    Ein junger Mann?
    Schüchtern, aber wunderschön.
    War er genauso einsam, wie sie es gewesen war?

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