Der Kaefig - Roman

zurückgehen.
    Grace stellte sich vor, wie sie die verwirrte (und vielleicht sogar schlimm zugerichtete) Frau zurück zum Pick-up geleitete. Dann könnten sie das arme Ding zu einem Frauenhaus fahren, wo sie in Sicherheit war vor dem aggressiven Schwein, wegen dem sie mitten in der Nacht die Flucht hatte ergreifen müssen.
    Grace war sich sicher, dass sie mit ihren Vermutungen über die Frau richtiglag.
    Auch wenn sie seltsam aussah. Etwas stimmte nicht mit der Form ihrer Stirn. Es schien kein Fleisch an den Knochen zu sein.
    Fast wie bei einem Totenschädel.
    Nein … das bildest du dir nur ein, sagte sie sich, während sie keuchend weiterlief. Deine Fantasie und das trügerische Mondlicht.
    Es ist nur eine Frau in Not.
    Dein Auftrag? Helfen.
    Du musst es tun. Indem du sie rettest, entkommst du deinen Erinnerungen. Diesen schmutzigen, zerstörerischen Erinnerungen daran, wie er… wie er in deinem Mund gekommen ist … wie er ihn so tief reingeschoben hat, dass du fast erstickt wärst an seinem …
    Nein.
    Sie unterbrach den Gedankenfluss.
    Rette die Frau.
    Sie rannte schneller durch die Dunkelheit.
    Und lief geradewegs in die Arme eines Phantoms. Die Gliedmaßen umklammerten sie. Ein heimtückisches Gesicht mit einer verdrehten Nase drückte sich fest an ihre Wange.

    Das Phantom hielt sie fest. Knochige Finger bohrten sich in ihre Schultern, suchten ihre Kehle.
    Sie wand sich ächzend und versuchte, sich zu befreien.
    Während sie den Angreifer wegdrückte, fiel ein Strahl Mondlicht durch die Äste.
    Das Phantom war nur ein Baum. Seine Arme waren Zweige, das Gesicht Einkerbungen in der Rinde, wo ein Ast abgebrochen war.
    Die Fantasie geht mit dir durch, schimpfte sie mit sich selbst. Konzentrier dich.
    Sie atmete tief durch und fand zurück auf den Pfad. Die Spuren im Staub bewiesen, dass die Frau dort entlanggelaufen war. Aber das war seltsam … Grace ging in die Hocke, um sich die trockene Erde genauer anzuschauen. Was sie sah, ließ ihr die Haare zu Berge stehen. Da war ein Fußabdruck. Aber es war der Abdruck eines nackten Fußes.
    Konnte die Frau den ganzen Weg durch den Canyon ohne Schuhe an den Füßen zurückgelegt haben?
    Oder hatte sie an dem steilen Abhang einen Schuh verloren und war lediglich zu erschöpft oder verängstigt gewesen, um stehenzubleiben und ihn wieder anzuziehen?
    Es wurde immer seltsamer.
    Grace eilte weiter den Weg entlang. Schon bald erreichte sie eine Lücke zwischen den Bäumen, die ihr einen besseren Ausblick auf den Canyon bot. Weiter oben sah sie ein einzelnes Haus.
    In der Ferne entdeckte sie schließlich die schlanke Gestalt der Frau. Sie schien auf das Haus zuzulaufen.
    Okay … ich komme, sagte sich Grace.

50
    »Es wird nicht funktionieren.«
    »Doch.«
    »Nein.«
    Ed wünschte sich, er hätte den Mund gehalten. Sie redeten schon viel zu lange über dieses Thema. Beschissen lange. Diese verdammte Pessimistin.
    Er warf Virginia einen wütenden Blick zu.
    »Sieh mich nicht so an, Ed.«
    »Ich guck dich an, wie ich will.«
    »Hör zu«, sagte sie. »Wir sind einfach extrem angespannt und reizbar wegen der ganzen Sache.«
    »Ja, wirklich sehr reizend, das Ganze.«
    »Eddie …«
    »Wir sind hier in Käfigen eingesperrt. Wir werden als Sexspielzeuge missbraucht. Wir werden wahrscheinlich umgebracht.«
    »Eddie …«
    »Unsere Leichen werden bestimmt irgendwo im Wald verscharrt.«
    »Eddie, du hast es nicht richtig durchdacht, du hast vergessen …«
    »Nein. Ich hab die Harpune.« Er schwang das Stuhlbein durch die Luft. »Ich werde sie benutzen.« Sein Gesicht brannte. »Und noch was: Nenn mich nicht Eddie.«
    »Ich dachte, das würde dir gefallen.«

    »Nein. ›Eddie‹ erinnert mich an einen Hund aus einer Sitcom.«
    »Okay, Edward …«
    »Ed. Bitte.«
    »Also gut, Ed.«
    »Schon besser.«
    »Pst.« Sie legte die Hand auf ihre Stirn, als versuchte sie, einen Gedanken festzuhalten. »Du hast mir deinen Plan erzählt. Du spießt die Frau auf. Wegen dem Widerhaken kann sie nicht entkommen. Dann hast du sie in der Falle, stimmt’s?«
    »Genau.«
    »Aber so kommen wir nicht aus den Käfigen, oder?«
    »Immerhin ist sie dann keine Bedrohung mehr.«
    »Du hast noch was vergessen.«
    »Was denn?«
    »Wir glauben, dass sie zu zweit sind.«
    »Scheiße.« Er schlug die Hände vors Gesicht. Mein Gott, was bin ich für ein verdammter Idiot.
    »Was meinst du, was die andere, die ›Wärterin‹ macht, wenn sie sieht, dass ihre Partnerin auf dem Spieß zappelt?« Virginia richtete ihre