Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Kaffeehaendler - Roman

Der Kaffeehaendler - Roman

Titel: Der Kaffeehaendler - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Liss Almuth Carstens
Vom Netzwerk:
Bauwerken des Platzes: das imposante Rathaus, das dastand wie eine Kathedrale des Bürgertums, die Nieuwe Kerk, die Börse und, winzig im Vergleich dazu, die Waage. Am Damrak priesen Fischhändler lautstark ihre Waren an, und Huren warfen ihre Angeln nach liebestollen Investoren aus; Geldverleiher,
die außerhalb des Gesetzes tätig waren, hielten nach den Ungeduldigen und Verzweifelten Ausschau; Obst- und Gemüsehändler schoben ihre Karren durch das Gewirr von Kaufleuten, die ganz erpicht darauf waren, ihr frisch erworbenes Geld für etwas blank Poliertes oder Saftiges oder Buntes auszugeben. Börsenmakler scherzten freundlich mit betuchten Spekulanten, und Frauen versuchten, Männer mit so derben Sprüchen zu ködern, dass selbst Miguel errötete, wenn er sie hörte.
    Schwarze Anzüge, wie Miguel sie stets trug, waren nach wie vor ganz groß in Mode. Sie spiegelten vielleicht den Einfluss des asketischen Calvinismus wieder, der ebenfalls auf seinem Höhepunkt war. Die Geistlichen der Reformierten Kirche hatten verfügt, dass auffällige Schnitte und leuchtende Farben nur Eitelkeit erzeugten, deshalb kleideten sich die Männer von Amsterdam in bescheidenes Schwarz, lockerten ihre dunklen Gewändern jedoch mit edlen Tüchern, teurer Spitze, Seidenkragen und kostspieligen Hüten auf. In dem Meer aus Schwarz blitzte gelegentlich ein iberischer Jude in Rot oder Blau oder Gelb auf oder ein trotziger holländischer Katholik, der die Farben trug, die ihm gefielen. In anderen Gegenden hätten die Einheimischen fremdartig Gekleidete angeglotzt, aber hier in der Stadt gab es so viele Ausländer, dass auffällige Kleidung eher bewundert als belächelt wurde. Für Miguel waren die Holländer die Kuriosesten unter allen – eine perfekte Mischung aus protestantischem Glauben und geschäftlichem Ehrgeiz.
    Als Miguel in die Menge schaute, bemerkte er einen verzweifelt wirkenden Burschen, der genau auf ihn zusteuerte. Er dachte, der Mann wäre vielleicht ein Kleinhändler, womöglich mitten im Streit mit einem Kunden, doch als er beiseite trat, hielt der Kerl seinen Blick auch weiterhin auf Miguel gerichtet.
    Er blieb vor Miguel stehen. »Erkennen Sie mich nicht, Lienzo?« Sein Mund war voller miserabler Zähne.
    Der Klang seiner Stimme beruhigte Miguel; er sah, dass er
den Mann in der Tat kannte: Joachim Waagenaar. Joachim, einst ein feiner Herr mit Samtanzügen und zarter Spitze, trug jetzt die zu kleine Lederkappe eines Bauern, ein fleckiges Wams aus grobem Tuch und zerrissene, ausgebeulte Hosen. Früher ein Mann, der Parfüm benutzte und seinen Schnauzbart adrett stutzte, roch Joachim nun nach Pisse und Schweiß wie ein Bettler.
    »Joachim«, sagte er nach kurzem Zögern. »Ich habe Sie nicht gleich erkannt.«
    »Das glaube ich.« Er lächelte bemüht. Seine Zähne waren immer schon schlecht gewesen, aber einige, die vorher abgebrochen gewesen waren, fehlten jetzt ganz, und in der unteren Reihe waren sie alle angeschlagen und spitz und uneben wie Kieselsteine. »Die Zeit hat es nicht gut mit mir gemeint.«
    »Es hat mir Leid getan, von Ihren Verlusten zu hören«, erwiderte Miguel und sprach dabei so schnell, dass sich sein Holländisch sogar in seinen eigenen Ohren wie Kauderwelsch anhörte. »Ich habe auch viel verloren«, fügte er hastig hinzu, um die Antwort auf unausgesprochene Beschuldigungen vorwegzunehmen. Immerhin hatte er Joachim gedrängt, sein Vermögen in die Zuckerterminkontrakte zu stecken, weil er geglaubt hatte, er könnte den Zuckerpreis über Wasser halten, wenn er genügend Investoren fände, aber diese Bemühungen waren umsonst, der Preis war trotzdem gefallen. Joachim hatte nicht annähernd so viel verloren wie Miguel, doch sein Vermögen war wesentlich kleiner gewesen und sein Sturz rasch und heftig.
    »Das sind schöne Kleider, die Sie da tragen.« Joachim musterte ihn und strich sich mit der Hand über sein eigenes Gesicht, auf dem ein stoppeliger Bart in unterschiedlicher Länge spross. »Ihnen haben sie die Kleider nicht genommen«, sagte er. »Mir haben sie die Kleider genommen. Sie haben mich gezwungen, sie zu verkaufen.«

    Wer mochten sie wohl sein – Gläubiger, Pfandleiher? Miguel war auch schon entführt und so lange gefangen gehalten worden, bis er eingewilligt hatte, Rechnungen zu bezahlen. Er hatte schon erlebt, dass ihm ein besonders wütender Weinhändler den Hut vom Kopf geschlagen hatte. Er war bedroht und beleidigt und gehänselt worden. Aber man hatte ihn nie gezwungen, seine

Weitere Kostenlose Bücher