Der Kaiser des Abendlandes
Suleiman und starrte die halb leere Seite seines Briefentwurfs an. »Und wo hast du ihn versteckt? Und warum? Was willst du mit ihm anfangen?«
»Du kennst das Haus mit dem schwarzen Eingang? Ich werde dort alle Juden aufbewahren, und später werde ich sie gegen irgendwelche Pfänder tauschen, die der Kaiser vom Abendland in der Hand hält. Die Waagschalen von Allahs Handel – sie müssen im Gleichgewicht bleiben, sonst komme ich niemals ins Paradies.«
»Du bist ein weiser Mann, o Vater!«, antwortete Suleiman. »Lass mich nachdenken, alles begrübeln und jedes Wort bebrüten wie ein Pfauenweibchen.
Es soll ein Brief werden, der alle Herzen erfreut, nicht nur deines.«
»So liebe ich meinen einzigen Sohn!« Abu Lahab stand auf und tätschelte Suleimans Wange. »Wagemutig, verrückt, aber gehorsam.« Mit einer unschuldigen Geste breitete er die Arme aus. »Und deine ungläubigen Freunde treibe ich dir auch noch aus. Der Muezzin hat gerufen. Auf zum Gebet.«
Suleiman blieb sitzen und starrte den breiten Rücken seines Vaters an. Von der Spitze der Feder, die er in der erhobenen Hand hielt, tropfte Tinte auf das Papier und hinterließ einen großen, hässlichen Klecks, der sich langsam in alle Richtungen vergrößerte.
Die Freunde hatten sich in Joshuas Studierzimmer versammelt. Suleiman, der sonst mit Sean gern scherzte, wirkte ungewöhnlich ernst. Die anderen Männer merkten schnell, dass seine Fragen heute schwerer zu beantworten sein würden. Er setzte sich, nahm dankend einen Becher kalten Aufguss an und wandte sich an Henri.
»Ich muss euch heute die Wahrheit sagen, so schwer es mir fällt. Das meiste wisst ihr allerdings schon. Ich will es jedoch noch einmal wiederholen, damit ihr das Ausmaß meines Dilemmas begreift. Also: Mein Name ist Suleiman ben Abu Lahab, nicht ben Lahab. Mein Vater ist reich. Er schmiedet Schwerter, Dolche und Lanzenspitzen, lässt die Waffen mit Griffen und Scheiden versehen und verkauft sie gegen gutes Geld. Es sind hervorragende Waffen, die überall dort verkauft werden, wo Muslime Schwerter brauchen. Das ist allerdings nicht alles.« Suleiman holte tief Luft. »Mein Vater hat auch die Belagerung eures Hauses in Auftrag gegeben und die Assassinen bezahlt, die euch töten sollten. Doch ich habe Abdullah, der rechten Hand meines Vaters, deutlich gesagt, dass er euch künftig in Ruhe lassen soll.«
»Ich kenne die Schmelzen und die Schmiede deines Vaters, Suleiman«, unterbrach Uthman bedächtig. »Mein Vater, glaube ich, hat dort seine Schwerter gekauft. Im Süden der Stadt, nicht wahr, bei den römischen Ruinen?«
Suleiman nickte Uthman zu und breitete in einer ratlosen Geste seine Arme aus.
»Bisher hat dein Vater deinen Rat befolgt«, sagte Sean. »Was willst du uns wirklich sagen?«
»Du weißt, dass uns der junge Hasan ununterbrochen belauert und belauscht. Noch weiß mein Vater weder durch Abdullah noch durch Hasan etwas von unserer geheimen Identität als ›Schwert der Armen‹.«
»Auch das ist uns nicht neu«, sagte Uthman.
Suleiman richtete den Blick auf Joshua, der ihn schweigend musterte.
»Mein Vater hat einen jungen Juden gefangen nehmen lassen. Er hat am Grabmal des Simon in Scheich Jarrah gebetet. Sean hat versucht, ihn zu befreien. Vielleicht hat Sean davon berichtet?«
»Nur das Nötigste«, antwortete Sean. »Waren es wieder die Männer deines seltsamen Freundes Abdullah?«
Suleiman zuckte mit den Schultern und befeuchtete seine Lippen mit der Zunge.
»Es ist durchaus möglich. Jedenfalls halten sie den Juden in einem Haus gefangen, das mein Vater gemietet hat. Das Haus mit der schwarzen Tür, es ist gar nicht weit entfernt.«
»Das bedeutet für uns, dass wir den jungen Pilger befreien müssen«, sagte Sean.
Suleiman hob beide Hände und entgegnete: »Das ist noch längst nicht alles. Ich muss für meinen Vater, der das Maß aller Dinge nicht mehr zu kennen scheint, einen Brief schreiben. Ich suche noch nach den richtigen Worten.«
»Für wen ist dieser Brief bestimmt?«, fragte sich Joshua mit leiser Stimme.
Suleiman rang sich ein kurzes, spöttisches Lachen ab. »Für keinen Geringeren als den Kaiser des Abendlands.«
Henri, Joshua und Sean brachen unwillkürlich in schallendes Gelächter aus.
Als sie sich einigermaßen beruhigt hatten, sagte Henri: »Das so genannte Abendland, so, wie es dein Vater sieht, ist nach wie vor heillos zerstritten, voller Machtkämpfe und Kriege. Es gibt zwar Ludwig IV. der auch ›der Baier‹ genannt
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