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Der Kaiser des Abendlandes

Der Kaiser des Abendlandes

Titel: Der Kaiser des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
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die Anrede an den Kaiser des Abendlands zu formulieren ist. Der eigentliche Beginn des Briefs wird allerdings lauten: ›Im Namen Allahs, des Allerbarmers…‹ Wie es dann weitergehen soll, musst du mir sagen. Worum willst du den Kaiser bitten?«
    Es gelang Suleiman, seine Überraschung zu verbergen. Ihm huschte weder ein Lächeln über seine Lippen, noch ließ er ein Lachen hören, denn von seinen Freunden wusste er, dass es keinen Kaiser des Abendlandes gab, zumindest nicht so, wie ihn sein Vater sich vorstellte. Es gab, inshallah!, auch keinen Kalifen mehr, denn al-Musta’sim aus dem Geschlecht der Abbasiden war 1258 in Bagdad gestorben.
    Heute schien der Nachmittag der großen Verwunderung zu sein. Dass sein Vater ausgerechnet ihn mit dem Abfassen eines so wichtigen Schreibens betraute, war nur eine der Seltsamkeiten.
    Daher zuckte Suleiman auch nicht zusammen, als sein Vater sich vorbeugte und in beschwörendem Tonfall sagte: »Schreib ihm, dass ich ihn – selbstverständlich mit aller Ehrerbietung! – auffordere, zum Islam überzutreten. Als sein Stellvertreter in Jerusalem lege ich ihm meine Gefolgschaft zu Füßen oder dergleichen; du wirst es schon richtig ausdrücken. Denk daran, dass solch ein Kaiser vielleicht ein besserer Händler ist als ein alter, armer Schmied rostiger Schwerter.«
    »Ich werde den richtigen Ton finden«, versicherte Suleiman ungerührt. »Armer Schmied! Allah hört mein Lachen! Du schwimmst im Geld wie eine Gans im Tümpel!«
    »Genug davon. Schreib endlich!«
    Suleiman begann, auf einem Papierstück zu schreiben, wählte die Worte sorgfältig aus, strich hier und dort ein Wort durch oder ersetzte es durch eines, das ihm angemessener erschien.
    Irgendwann hielt er inne und fragte: »O fantasiereicher Vater, du hast sicher herausgefunden, in welcher Stadt der Kaiser seinen Palast hat? Natürlich in einem der Orte von minderer Bedeutung, die sich nicht mit dem Glanz Jerusalems zu messen vermögen?«
    Abu Lahabs Arm fuhr in die Höhe. Seine Fingerringe blitzten, als er zum Himmel deutete: »Wozu hast du deine ach so weisen Freunde, die du so regelmäßig besuchst? Einer von ihnen wird wissen, wohin ich meinen Boten schicken muss.«
    Mit einer solchen Wendung des Gesprächs hatte Suleiman schon seit Monaten gerechnet. Er hatte niemals den Fehler begangen, seinen Vater zu unterschätzen. Sein Verfolger Hasan hatte Abdullah wohl endlich berichtet, was er gesehen hatte. Es schien ein recht umfassender Bericht gewesen zu sein, und Abdullah, der Vertraute seines Vaters, war anscheinend nicht bereit, das Offensichtliche zu leugnen.
    »Ich werde sie fragen«, antwortete Suleiman. »Ich denke, so kann es nicht ganz falsch sein: Abu Lahab ben Taimiya sendet dem Kaiser des Abendlands – hier füge ich, wenn ich es weiß, seinen Namen hinzu – dieses untertänige Sendschreiben. Es mag Euch, Hoheit, erstaunen, eine Botschaft aus Jerusalem zu erhalten. Erwägt das, was darin steht, ohne Argwohn und mit dem Blick des klugen Herrschers. Willst du, dass ich es so schreibe?«
    Abu Lahab nickte und klatschte in die Hände. »Du bist zwar verrückt, ungehorsam und halsstarrig, aber du findest die richtigen Worte. Gut so! Weiter so!« Er grinste breit und schlug mit den flachen Händen auf den Tisch. Der Tintenkrug hüpfte wild. Suleiman fasste schnell zu und bewahrte ihn vor dem Umfallen. »Schreib solch schöne Worte weiter. Morgen soll der Brief fertig sein. Schaffst du’s?«
    »Das kann ich nicht versprechen. Vielleicht dauert es noch ein, zwei Tage länger«, antwortete Suleiman vorsichtig. »Ich werde nichts anderes tun, als nach den richtigen Worten zu suchen. Und sonst, Vater? Gewinnst du das eine oder andere deiner vielen kleinen Spiele?«
    »Hat Abdullah dir nichts berichtet?«
    Suleiman schüttelte den Kopf. Sein Vater schien plötzlich von einer inneren Fröhlichkeit erfüllt zu sein. Er machte eine wegwerfende Geste und antwortete mit zufriedenem Lächeln: »Deine Freunde sollen ungestört in unserer Stadt leben, im Haus des Sohnes von al-Mustansir. Aber andere Juden… Ich hab vor drei Tagen einen Juden am Grab dieses jüdischen Priesters oder was immer er war gefangen nehmen lassen. Drüben, in Scheich Jarrah.«
    »Allahu akbar«, sagte Suleiman und erinnerte sich sofort an Seans Kampf am jüdischen Grabmal und ihre Verfolgungsjagd. »Einen echten Juden?«
    »Einen wirklichen Juden, der dort gebetet hat. So alt wie du. Er hat sich gewehrt wie ein Löwe.«
    »Wie ein Löwe«, murmelte

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