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Der Kaiser des Abendlandes

Der Kaiser des Abendlandes

Titel: Der Kaiser des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
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hörte er ebenso wie das Gurren vieler Tauben, das Krähen der Hähne und das Rascheln der Mäuse. Inzwischen verstand er viele Worte aus den Reden der Menschen, die sich in der Gasse vor dem Haus bewegten. Fast an jedem Abend, wenn er sich nicht in den Seiten des Buches verlor, betrachtete er den Sonnenuntergang.
    Zwischen den ersten Seiten lag auseinandergefaltet der Zettel, den ihm der junge Araber zugesteckt hatte. Die Worte darauf waren Elazars einzige Hoffnung. Er glaubte ihnen – bald würde er frei sein.
    Aber wann?
    Vielleicht wussten es andere. Jene, die ihn gefangen genommen hatten. Er selbst… er ahnte es nicht einmal. Aber da er Stürme und Wanderung überlebt hatte, würde der Herr ihn gewiss auch aus dieser Notlage befreien.
     
     
    Während Sean die Pferde trocken rieb, entzündete Suleiman ein kleines Feuer und stellte den wassergefüllten Kessel in den Dreifuß. Die Pferde soffen durstig und geräuschvoll aus den Lederbeuteln, die über ihren Hälsen hingen. Das Fell der Tiere war ebenso staubbedeckt wie die Kleidung der beiden Reiter. Träge zog der Rauch durch die Felsspalte zur Straße hin und schlängelte sich an der überhängenden Wand in die Höhe.
    Sie hatten es nicht anders erwartet: Je höher die Sonne stieg, desto mehr bevölkerte sich die Straße. Karawanen und Karren, einzelne Wanderer und kleine Gruppen kamen Sean und Suleiman entgegen. Niemand beachtete sie besonders, zumal sie so oft wie möglich am Rand der Straße ritten und, wenn es das Gelände erlaubte, für eine Meile oder eine längere Strecke einen Weg wählten, der zwar länger, aber weniger befahren war. Die Berge zwischen Jerusalem und der Ebene vor dem Meer boten zahlreiche Verstecke und Schleichwege.
    Ab und an war ihnen ein einzelner Reiter aufgefallen, mal näher, mal weiter entfernt, der oft die Straße verließ und dann für einige Zeit verschwunden schien. Er ritt auf einem Rappen und führte ein Maultier mit Taschen, Ballen und Wassersäcken hinter sich her. Beide Tiere waren ausgeruht, und der Reiter lenkte sie mit viel Vorsicht durch die felsige Einöde. Eigentlich hatten sie erwartet, ihn an diesem Rastplatz zu treffen, aber der Platz trug nur die Spuren einer hastig aufgebrochenen Lastkarawane.
    Suleiman schob mit einem Stock Eselkot zur Seite und öffnete dann eine seiner Satteltaschen, die neben den Sätteln lagen. Satteldecken und Sättel dünsteten den Schweiß der Pferderücken aus; der stechende Geruch mischte sich mit dem des Rauchs.
    »Der erste Tag, Wesir Nicolaus«, sagte Suleiman und presste seine Hand gegen seinen Rücken. Er schien müde, aber zufrieden. »Bisher können wir zufrieden sein. Übernimmst du die erste Wache?«
    »Na klar, mach ich«, antwortete Sean und hob den Trinkschlauch an die Lippen. »Nach einem ausschweifenden Abendmahl. Was glaubst du, bleiben wir heute Nacht allein in dieser Oase voller Eselkot?«
    »Wir haben hinter uns niemanden gesehen, der hier rasten könnte. Wart’s ab.«
    Sie bereiteten ihr Nachtlager ruhig, schnell und mit sicheren Griffen vor. So, als hätten sie seit Jahren nichts anderes getan. Sean breitete seinen Mantel aus, spannte den Bogen und steckte einige unangezündete Fackeln in den Sand. Vorsichtig schob er die Kotballen an den Rand der Felsen. Die Abenddämmerung überzog das Land mit bläulichen Schatten, und bald bildeten die Flammen und die Glut das einzige Licht in dem Felsenkessel. Ruhig fraßen die Tiere ihr Futter.
    »Wenn ich dein Gesicht betrachte«, sagte Suleiman, als der Duft der getrockneten Kräuter aus dem Kessel aufstieg, »dann glaube ich zu wissen, woran du jetzt denkst.«
    Sean nickte langsam und antwortete: »An Madina el-Ramla und die Nacht mit Layla. Ich gäbe viel darum, wenn sie mit uns hätte reiten können.«
    Suleiman seihte den heißen Sud durch ein Tuch und schüttete die nassen Kräuter in die Glut.
    »Ich habe mir den Kopf zermartert über Layla und dich«, sagte er schulterzuckend. »Mir ist nichts eingefallen. Eine Dienerin meines Vaters, zusammen mit uns, ohne dass sie dem Kaiser dienen würde – undenkbar.«
    »Ich weiß es. Reden wir nicht mehr darüber.«
    Sean ging, den Becher in den Fingern, zum Felsspalt und überzeugte sich, dass ringsumher nichts Bedrohliches zu erkennen war. Die ersten Sterne funkelten in der Schwärze über dem Land. Sean kehrte zurück und kauerte sich, auf einem Heuballen hockend, ans Feuer. Suleiman packte den Proviant aus, nachdem er weiße Tücher über den Sand gebreitet hatte. Er

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