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Der Kaiser von China

Der Kaiser von China

Titel: Der Kaiser von China Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Rammstedt
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anspringen würde, habe er ja nicht wissen können. Und dann lächelte er doch tatsächlich versöhnlich und sagte, nun sei man halt hier, und wir müssten einfach das Beste daraus machen, und ich sagte nein, das müssten wir überhaupt nicht, von mir aus könnten wir sofort zurückfahren, auf der Stelle, und ich bedeutete dem Taxifahrer gestenreich, dass er uns wieder zurück zum Bahnhof bringen solle, und Großvater bedeutete ihm noch gestenreicher, dass er weiter geradeaus fahren solle, er griff ihm sogar von hinten ins Lenkrad, bis der Fahrer schließlich unvermittelt bremste und nun wiederum uns bedeutete, dass wir seinen Wagen sofort verlassen sollten. Da standen wir dann mitten auf einer vierspurigen Straße, um uns herum wurde gehupt und geschimpft und geschrien , Großvater rührte sich nicht, er schaute unserem Taxi nach, wie es im Verkehr verschwand. »Ich habe hier noch etwas zu erledigen«, sagte er ruhig, und ich fragte: »Genau hier? Mitten auf der Straße?«, und er sah mich an. »Nein«, sagte er, »hier in China«, und dann bahnte er sich, ohne auf die bremsenden Autos zu achten, einen Weg hinüber zum Seitenstreifen. Ich folgte ihm mit unseren Koffern. »Und was bitte schön?«, fragte ich ihn. »Etwas Persönliches«, sagte er und marschierte entschlossen Richtung Zentrum. Ich versuchte nicht einmal, mit ihm Schritt zu halten.
    Etwas Persönliches. Als ob ich gedacht hätte, er müsste hier dringend geschäftlichen Verpflichtungen nachkommen, als ob ich gedacht hätte, er sei einer offiziellen Einladung gefolgt, und als wir nach eineinhalb Stunden dann endlich unser Hotel erreicht hatten, beschloss ich, ihm recht zu geben. Tatsächlich konnte es jetzt nur noch darum gehen, das Beste aus all dem hier zu machen, und das Beste erschien mir, Großvater so weit es ging zu ignorieren. Im Hotelzimmer legte ich mich aufs Bett und schaltete den Fernseher an, während Großvater wie jedes Mal penibel seine Hemden und Hosen in den Schrank räumte, auch wenn wir nur eine Nacht bleiben wollten. Selbst unzählige Krawatten hat er dabei, hin und wieder bindet er sich morgens eine um, betrachtet sich lange im Spiegel und entscheidet sich dann doch dagegen.
    Im chinesischen Fernsehen gibt es auffallend viele Sendungen über Mundhygiene, auf gleich drei Sendern sah man Menschen in Großaufnahme, manchmal auch in Zeitlupe ihre Zähne putzen, daneben einen Fachmann, der die Bewegungen am Plastikmodell eines Kiefers noch einmal wiederholte.
    Großvater erkundigte sich, was denn die Pläne für den heutigen Tag seien, und ich tat so, als wäre ich voll und ganz in die Sendung vertieft, ich holte sogar, als er mich immer weitere Dinge fragte, meine Zahnbürste aus dem Gepäck und folgte den Anweisungen auf dem Bildschirm. Großvater stand dann noch eine Weile unschlüssig vor unserem Bett, dann verließ er das Zimmer, und ich putzte mir weiter die Zähne, sehr lange muss ich das getan haben, längst lief schon die nächste oder übernächste Sendung, als Großvater wieder zurückkam, in der Hand eine Schale Suppe. »Vielleicht bist du hungrig«, sagte er, ich nahm die Zahnbürste aus dem Mund, und sein Blick folgte stolz jedem Löffel, den ich zu mir nahm, ob es auch gut schmecke, fragte er mehrmals, ob die Suppe auch nicht zu heiß sei, dass er auch noch Salz besorgen könne, wenn ich das brauche. Als ich aufgegessen hatte, starrte er in die leere Schale. Er habe sich erlaubt, zwei Bustickets nach Bingmayong zur Terrakotta-Armee zu erstehen, sagte er, und dass es ihm eine Freude und Ehre wäre, wenn ich ihn begleiten würde. Und obwohl ich mir nicht sicher war, ob er sich nur mit mir versöhnen wollte, weil ihm langweilig war, oder es ihm tatsächlich leid tat, willigte ich ein. Über Mundhygiene hatte ich mehr als genug erfahren.
    In Bingmayong engagierten wir für fünfzig Yuan einen Führer, der immerhin Englisch sprach. Für Großvater musste ich alles trotzdem noch einmal übersetzen, auch wenn er behauptete, das sei nicht nötig, und während der Ausführungen des Führers immer wieder nickte und an unpassenden Stellen »Ah ja« sagte.
    Die Terrakotta-Armee ist tatsächlich von beeindruckender Größe. Sie besteht nicht nur aus tausenden von Kriegern, schwer bewaffnet mit Schwertern, Speeren, Armbrüsten, Säbeläxten und Heugabeln, sondern auch aus einer Unzahl von Pferden, Wagen, Kutschen, Katapulten und sogar einer ganzen Kolonne Hunde, die es, so erklärte uns der Führer, im Heer des Kaisers Qin Shihuangdi ,

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