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Der Kaiser von China

Der Kaiser von China

Titel: Der Kaiser von China Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Rammstedt
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dessen Grab die Terrakotta-Armee bewachen soll, tatsächlich einst gab, auch wenn die Tiere in ihrer ersten Schlacht schon nach wenigen Minuten feige das Weite suchten.
    Vor seinem vierzigsten Lebensjahr habe dieser Qin Shihuangdi bereits sechs bedeutende Königreiche erobert, erzählte uns der Führer, was Großvater sich mehrfach bestätigen ließ, dann winkte er jedoch ab, was wolle man denn bitte mit so vielen Königreichen.
    Zum Ende der Führung erreichten wir die große Halle, in der allein über sechstausend Soldaten aufgereiht sind, und tatsächlich gleicht keines ihrer Gesichter dem anderen, manche schauen entschlossen, manche ängstlich, manche lachen und manche scheinen zu schlafen, manche schielen ein wenig, und manche strecken die Zunge raus. Dass wir uns glücklich schätzen könnten, meinte der Führer noch zum Abschluss, denn es heiße, alle 2217 Jahre erwache die Armee zum Leben, und ausgerechnet heute sei nun dieser Tag. Großvater zuckte zusammen, der Führer lachte betulich, »Kleiner Scherz«, sagte er, dann war er auf einmal verschwunden, und Großvater und ich blieben zwischen den steinernen Kriegern allein zurück.
    Natürlich hatten wir uns schon nach wenigen Schritten verlaufen, in alle Richtungen erstreckten sich die endlosen Soldatenreihen, die Großvater anscheinend noch nicht wieder ganz geheuer waren, einige Male blieb er stehen und starrte einem von ihnen ins Gesicht, »Er hat gerade gezwinkert, ich schwöre es«. Irgendwann war er dann aber zu erschöpft, um noch weiter Rücksicht darauf zu nehmen. Dass er eine Pause brauche, sagte er, und wir ruhten uns auf einem der Pferdewagen aus.
    Ich versuchte, von dort aus die Orientierung zurückzugewinnen , aber egal, wohin ich schaute, immer traf ich auf einen spöttischen Blick aus Terrakotta-Augen . Ein wenig übertrieben fände ich es schon, sagte ich irgendwann, sich als Toter von einer ganzen Armee bewachen zu lassen, aber Großvater fand das ganz und gar nicht. »Sollte ich einmal sterben, würde ich das genauso machen«, sagte er. Man wisse schließlich nie.
    Auch mir wurde langsam unheimlich, nicht so sehr vor der Möglichkeit, dass die Krieger gleich zum Leben erwachen könnten (obwohl ich zugeben musste, dass ich mir schon überlegt hatte, in diesem Fall die wohl vorübergehende Schlaftrunkenheit der Reiter auszunutzen, um auf einem ihrer Pferde eine Bresche Richtung Ausgang zu schlagen – vorausgesetzt, dass die Pferde überhaupt ebenfalls zum Leben erwachten), sondern eher aus der Befürchtung, so lange hier umherzuirren, bis die Ausgrabungsstätte schließen würde, und eine hungrige Nacht mit einem verängstigten Großvater war nicht das, was ich mir unter »das Beste daraus machen« vorstellte.
    Ob er zufällig etwas zu essen dabeihabe, fragte ich Großvater. Er durchsuchte seine Manteltaschen, fand aber nur ein paar verklebte Bonbons, die er sich an den Hotelrezeptionen immer einsteckte. »Für jeden zwei«, sagte er stolz, überlegte dann aber noch einmal, sah mich dabei lange an und sagte: »Weißt du was, du kannst auch drei haben.«
    Noch bevor ich ihm danken konnte, hörten wir auf einmal Stimmen, wir folgten ihnen und stießen auf eine spanische Reisegruppe, deren Führer anscheinend auch gerade den kleinen Scherz mit den 2217 Jahren machte, denn ein paar der Spanier schauten sich verängstigt um, und der Führer lachte betulich. Für fünfundzwanzig Yuan zeigte er uns anschließend den Ausgang.
    Im Souvenirshop kaufte ich Großvater dann noch einen Miniaturkrieger. »Für den Anfang«, sagte ich, doch Großvater schien selbst der nicht geheuer zu sein und warf ihn, als er dachte, ich würde gerade nicht hinsehen, in eine Mülltonne.
    Wir schwiegen fast die ganze Rückfahrt über, erst als wir bereits die Stadtgrenze von Xi ' an erreicht hatten, fragte mich Großvater plötzlich, was wohl passiert wäre, wenn wir nicht auf die spanische Reisegruppe gestoßen wären. Dass wir schon irgendwann den Ausgang gefunden hätten, sagte ich. »Aber was, wenn nicht?«, fragte er. Ich wusste nicht genau, worauf er hinauswollte. »Dann wären wir wohl verdurstet«, sagte ich. Großvater nickte ein paar Mal. Vielleicht hätte man unsere Leichen dann erst Jahre später entdeckt, sagte er, und irgendetwas an der Vorstellung schien ihm zu gefallen. Dass ich das für sehr unwahrscheinlich hielte, sagte ich, und Großvater zuckte mit den Achseln, dafür sei es jetzt ohnehin zu spät.
    Am Abend wollte er dann unbedingt wieder in den

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