Der Kalligraph Des Bischofs.
hinteren Reihen …
Tatsächlich, dort stand ein breitschultriger Mann, der die Arme vor seiner Lederschürze verschränkt hielt und grimmig dreinblickte.
Und ein Stück weiter lösten sich drei Frauen aus der Menge und verschwanden in einem Hauseingang. Hatte ihr Gesicht nicht
steinerne Verachtung gesprochen? Das Lachen und Johlen der Menschen verloren ihre Fülle in Biterolfs Ohren. Es klang hohl,
brüchig.
Unaufhaltsam schwand das Hochgefühl aus seiner Brust. Er bemerkte immer mehr verärgerte Frauen und Männer, sah, wie sie sich
Worte zuraunten. Sie schauten mit Furcht |295| und Mißtrauen auf den Bischof, nicht mit Bewunderung. Herabgezogene Mundwinkel, schmale Augen, Wegducken, wenn der Blick des
Bischofs auf sie fiel. Biterolf meinte, das Wort »Dämon« zu hören. Ihm fielen die Schreie der Verstümmelten wieder ein, die
er gehört hatte, die Bilder von Blut und Gewalt, die sich ihm eingeprägt hatten. Die Hälfte der Männer war auf dem Schlachtfeld
ums Leben gekommen, und von den Überlebenden kehrte ein Teil als Krüppel heim. Hatte er sich tatsächlich über den Jubel gefreut,
der doch letztlich auch dem Krieg und dem Töten galt?
Auch wenn die vorderen Reihen die Heimkehrer feierten, das Mißtrauen hatte die Turiner Bevölkerung nicht verlassen , soviel war unverkennbar.
Vielleicht ist es sogar schlimmer geworden.
Biterolf zog die Zügel an. »Ho.« Er löste seinen Fuß aus dem rechten Steigbügel und ließ sich aus dem Sattel gleiten. Schweigend
reichte er einem Langobarden die Zügel seines Pferdes. Der Jubel fing an, ihm weh zu tun.
Wir dürfen jetzt nicht blind sein,
dachte sich Biterolf, während er seinen umfangreichen Körper durch die Menge drängte.
Es ist besser, ich lasse mich von der Feier nicht blenden. Vielleicht kann ich den Bischof vor Schaden bewahren, wenn ich
die Augen offenhalte.
Büttel. Warum waren überall Büttel?
Ob Odo genauso denkt wie ich?
Biterolf empfand Zuneigung für den alten Meister, der besser schweigen konnte als irgend jemand, den er kannte. Selbst dann,
wenn er sicher sah, daß sein Gegenüber im Unrecht war. Das mußte wirkliche Weisheit sein, wenn man überlegen war, aber es
für sich behalten konnte.
Odo hält auch nichts von solchen Empfängen, ganz sicher.
Ach, wie gut es sein würde, wieder mit Germunt in der Schreibstube zu stehen; das Schaben der Kiele auf dem Pergament, der
Tintengeruch!
Biterolf stockte der Atem. Auf ihm ruhten die Augen eines Reiters. Rotschimmel. Gelber Umhang. Als Kopfbedeckung eine Brokatmütze.
Kleine Ohren. Breit gestutzter Bart, kalt-blasse, schwulstige Lippen. Und ein kalter Schielblick, |296| den es nur einmal in Norditalien gab. Die Macht in Person: Suppo.
Auf der einen Seite neben dem Brescianer führte Godeoch sein Pferd, auf der anderen Seite ritt ein totenbleicher Jüngling.
Mit unbewegten Mienen ließen sie ihre Rosse gegen den Strom der Menge anlaufen, und auch Suppo nahm seine Augen von Biterolf,
um wieder über die Menschen hinwegzublicken, als habe er nichts mit der Welt des einfachen Volkes zu tun.
Biterolf preßte sich Daumen und Zeigefinger in die Augenhöhlen.
Was will Suppo in Turin?
Er hatte das Gefühl, das Leben, wie er es in den vergangenen Jahrzehnten geführt hatte, nahm eine fremde Form an, und sie
gefiel ihm überhaupt nicht. Suppo und Godeoch einig beisammen. Was konnte einer Stadt Schlimmeres geschehen?
Es hieß, daß Suppo zusätzlich zu seinem Grafenamt in Brescia gerade Graf von Spoleto geworden war. Seine Familie unterhielt
hervorragende Beziehungen zum Kaiser; ihm gehörte jedes zweite Feld in Norditalien.
Während sich Biterolfs Gedanken überschlugen, lief er einem Wachposten in die Arme. »He, Biterolf, immer hübsch aufpassen,
wo Ihr hinlauft, ja?«
Wortlos drückte sich Biterolf am Büttel vorbei. Eine Hand legte sich schwer auf seine Schulter.
»Bekritzelt Ihr auch für den neuen, verruchten Bischof Pergamente? Pfui, sage ich. Habt Ihr Germunt gesehen?«
Biterolf drehte sich zur Hälfte um und sah, wie der Bewaffnete für einen prüfenden Blick den Kopf nach vorn neigte.
»Man wird ja mal fragen dürfen.« Das Gesicht schnellte hoch und grinste.
»Ist er nicht am Bischofshof?«
Der Büttel lachte. »Schon lange nicht mehr! Er hat sich irgendwo verkrochen. Aber die Franken warten vor dem Bischofspalast,
und sie werden schon dafür sorgen, daß ihn Claudius für vogelfrei erklärt.«
|297| Die Franken waren in Turin. Biterolf spürte
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