Der Kalligraph Des Bischofs.
heulen und schreien,
wie er wollte. Er hatte sie in die Irre geführt, so donnerten sie, und das sollte seine Strafe sein. Der Rauch, die brennenden
Strohteile vom Dach …
»Was wollt Ihr tun«, fragte Odo, »wenn die Bluträcher wieder an meine Tür klopfen? Ich habe vom Kanzler gehört, daß Claudius
an der Küste in heftige Kämpfe verwickelt ist. Er soll inzwischen ein Heer von mehreren hundert Reitern befehligen. So schnell
kehrt er nicht wieder, wenn er Turin überhaupt noch einmal lebendig betritt.«
Eine ganze Weile war es still. »Solange es die Möglichkeit gibt, daß Claudius kommt«, sagte Stilla leise, »ist es gut, wenn
Germunt hierbleibt.«
»Ich bin oben und arbeite.« Germunt konnte an der Stimme des Meisters erkennen, daß er nicht zufrieden war.
Stilla schien das ebenfalls zu spüren. Ihre Hand wurde stumm, lag reglos auf Germunts Stirn. Germunt wartete noch einen Moment,
dann machte er einige Geräusche, von denen er meinte, daß sie nach einem Erwachenden klangen, und schlug die Augen auf.
Sofort zog Stilla ihre Hand zurück.
»Wie geht es dir?« hauchte sie besorgt.
Germunt ließ die Augen durch den Raum wandern. Er lag auf dem Rücken, der Bauch brannte ihm, als läge Schnee darauf und taue
langsam. Mühevoll hob er ein wenig den Kopf und richtete den Blick auf das geliebte Gesicht über sich. »Wie bin ich hierhergekommen?«
»Eine Frau und ein Mann haben dich gebracht.«
»Wie sahen sie aus?«
|288| »Ich bin blind. Vergißt du das?«
»Du bringst dich in Gefahr, wenn du mich hierbehältst.«
»Nein, da irrst du dich. Ich bringe weder dich in Gefahr noch mich selbst. Diese Villa ist der sicherste Ort in Turin für
dich.«
»Warum sollte das so sein?«
»Überleg doch mal. Wer wäre so dumm, sich zweimal im gleichen Versteck zu verbergen?«
»Nur ein Torfkopf.«
»Da siehst du’s. Die Bluträcher wissen, daß du kein Torfkopf bist.«
»Und deshalb soll ich mich verhalten wie einer? Weil sie mir die Dummheit nicht zutrauen?« Germunt lächelte. »Du bist klug.«
Er richtete sich ein wenig auf, stützte den Ellenbogen ab. Mit der Übung eines Diebes stahl sich seine Hand in die Höhe, immer
näher an ihr Gesicht, bis seine Fingerspitzen ihre Wange berührten. Kristallsterne rieselten durch seinen Arm.
Einen Moment hatte sie stillgehalten, als wollte sie es dulden, aber schließlich erhob sich Stilla. »Du mußt hungrig sein.«
Ein Gefühl des Verlustes, ein seltsamer Durst überkam Germunt. Aber er kämpfte ihn hinunter und versuchte, die Lage zu entschärfen.
»O ja, ich bin hungrig. Und ich bin furchtbar zugerichtet. Nur die beste Pflege kann mich wieder zum Leben erwecken.«
Stilla lachte. »Du schienst mir eben schon recht lebendig zu sein.«
»Habe ich dich erschreckt?«
Die Blinde tat, als hätte sie es nicht gehört. »So mager, wie du aussiehst, kann dir ein Gerstenbrot nicht schaden.«
An den folgenden Tagen hoffte Germunt umsonst auf ein Gespräch ihrer Hand mit seinem Gesicht. Häufig war die Magd mit im Raum,
aber auch wenn sie es nicht war, hielt Stilla sich zurück. Er wäre ernsthaft in Verzweiflung gestürzt, |289| wären da nicht die kurzen Berührungen gewesen, wie zufällig, wenn sie an seinem Lager vorbeilief oder ihm etwas brachte. Germunt
bemühte sich, Stilla ebenfalls von Zeit zu Zeit zu streifen, ohne daß es die Magd bemerkte.
Einmal sah sie es doch. Sie schickte Stilla mit strengen Worten hinaus, um Wasser zu holen. Dann stemmte sie die Hände in
die Hüften und feuerte Germunt entgegen: »Jun ger Mann, wo hast du dein Benehmen gelernt?«
»Was meint Ihr?«
»Oh, ich habe doch genau gesehen, wie du das junge Mädchen gerade absichtsvoll an den Schenkeln berührt hast!«
»An den Schenkeln? Ich –«
Die Magd schüttelte den Kopf. »Es ist wie immer: Am Ende will es keiner gewesen sein. Los, steh auf!« Sie winkte ihn hoch.
»Du bist scheinbar nicht ausgelastet. Wenn Stilla mit dem Wasser kommt, kannst du Kohl waschen und kleinschneiden.«
Germunt gehorchte. Die Verbände, die um seinen Bauch gewunden waren, zwickten ein wenig, aber sonst fühlte er keine Schmerzen.
Als Stilla den Raum betrat, einen tropfenden Holzeimer in der Hand, blieb sie kurz stehen, lauschte, dann setzte sie den Eimer
etwas lauter ab als nötig. »Germunt, du sollst dich ausruhen und liegen!«
»Nein, nein«, fiel ihr die Magd ins Wort, »das ist schon in Ordnung. Er wird von jetzt an wieder seinen Teil der Arbeit tun,
wie es
Weitere Kostenlose Bücher